Motor und Getriebe in einer Einheit

Test: Pinion MGU

Die Pinion MGU will nicht weniger als das Schalten neu erfinden: Motor und Getriebe in einem Gehäuse – weniger Verschleiß, mehr Effizienz und neue Funktionen wie Autoshift. Wir haben die Einheit ausgiebig getestet, die Leistung gemessen, die Reichweite überprüft und den Sound mit anderen Motoren verglichen. Ist die MGU die Zukunft des E-MTBs?

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Getriebeschaltungen sind im Radbau nichts Neues. Rohloff und klassische Pinion-Getriebe sind seit Jahren bewährte Lösungen für Reiseräder. Im sportlichen Einsatz konnten sie sich wegen Effizienzverlusten und Mehrgewicht bislang aber nicht gegen die Kettenschaltung durchsetzen.

Mit einem E-Motor ändert sich das Bild: Die paar Prozent weniger Wirkungsgrad sind irrelevant, wenn der Motor für ausreichend Power sorgt. Und genau hier setzt die MGU an – sie kombiniert Pinions Know-how in Sachen Getriebe mit einem modernen Mittelmotor.

Pinion MGU Test
MGU steht für "Motor-Gearbox-Unit" und ist nicht weniger als eine Kampfansage eines deutschen Mittelständlers gegen Branchenriesen wie Shimano oder Sram. Denn die MGU denkt Schaltungen für EMTBs mit seiner MGU radikal anders.
Pinion MGU Test
Der Motor hat üppig Power und wechselt die Gänge in jeder Situation. Wer gern technisch klettert, wird das lieben.
Haibike All Mountain CF 10 trn/iq
Wir haben die Pinion MGU in einem Testbike von Haibike sowohl auf dem Trail als auch unter standardisierten Testbedingungen getestet.

Leistung

Im standardisierten Test bei 150 Watt Input und 85 U/min liefert die MGU 560 Watt – auf Augenhöhe mit dem Bosch CX Gen 5 nach seinem Power-Update und knapp unter DJI Avinox im Turbomodus.

Leistung Pinion MGU
Die Pinion MGU liefert bei 150 Watt Input und 85 U/min an der Kurbel in unserem Test vergleichbare Power-Werte wie der Bosch CX Gen 5 Motor nach seinem Power-Update.

Steigert man den Input auf 200 Watt, steigt der Output in unserem standardisierten Testverfahren auf fast 600 Watt. Damit lässt sich im Gelände selbst in steilsten Passagen Uphillflow erleben.

Beim Thema Trittfrequenz ist die Pinion MGU so kalibriert, dass sie ab einer Frequenz von 85 U/min die volle Power liefert. Mit niedrigeren Trittfrequenzen bleibt die Motorleistung etwas geringer. Wobei der Abfall auf knapp über 500 Watt in unseren Messreihen bei 60 Umdrehungen keinen vollkommenen Leistungseinbruch darstellt. Vielmehr gelingt Pinion hier eine harmonische Kopplung der Power an die Trittfrequenz. Das DJI Avinox System koppelt seine Maximalleistung deutlich stärker an die Trittfrequenz als Pinion. Denn dort bekommt man den maximalen Motor Output erst über 100 U/min.

Leistungsentwicklung bei Input-Steigerung
Steigert man die Inputleistung auf 200 Watt, gibt der Motor in unserem Test sogar 600 Watt frei. Die MGU hat Power satt.
Leistungsentwicklung bei Drehzahlen
Schon bei geringen Trittfrequenzen von 60 U/min liefert die MGU üppige Powerwerte und kann diese bis zu 85 U/min an der Kurbel sogar noch steigern. Wir haben all unsere Tests mit Pedalen von SRM in der Praxis durchgeführt.
Pinion MGU-Motor-Charakteristik
In Sachen Power ist die MGU Motoren wie die Shimano EP801 oder Bosch CX Gen 4 klar überlegen und spielt in der ersten Liga der Full Power Motoren mit.

Reichweite

Das Thema Effizienzverlust durch das Getriebe spielt sich mit dem Motor tatsächlich in einem nicht relevanten Bereich ab. Mit einem 800-Wh-Akku klettert das System über 2100 Höhenmeter – damit liegt es im Bereich der stärksten Konkurrenz. Damit agiert Pinion auf Augenhöhe mit den etablierten Platzhirschen und Exoten wie dem Hepha Motor, der als besonders effizient gilt.

Leider haben wir unseren Reichweitentest nicht immer mit derselben Akkugröße durchführen können. Rechnet man aber die Werte der Bosch CX Gen 5 Motoren oder des DJI Avinox Systems aus der Tabelle unten von einem 600er auf einen 800er Akku um, dann landet man auch mit diesen Motoren bei einer vergleichbaren Reichweite.

Pinion MGU-Effizienz
Erstaunlich: In Sachen Effizienz gibt sich die MGU keine Blöße im Vergleich mit anderen Motoren und einer Kettenschaltung. Die Kombi aus Motor und Getriebe hat einen vergleichbaren Stromverbrauch wie ein Bosch CX Gen 5 Motor in Kombination mit einer Kettenschaltung. (Achtung: Unterschiedliche Akkugrößen!)
Pinion MGU 1000 hm Test
Die 1000 Höhenmeter klettert die MGU in unserem Test in 26 Minuten hoch. Derating war dabei zu keiner Zeit ein Problem.
Pinion MGU Display
Wir ziehen alle Tests für die Vergleichbarkeit immer in der höchsten Unterstützungsstufe durch. Das Display ist im Oberrohr gut geschützt und zu jeder Zeit gut ablesbar.

Fahrcharakter & Schaltung

Die Schaltperformance ist für ein Getriebe beeindruckend. Normalerweise muss man bei Getriebeschaltungen am Fahrrad immer deutlich Druck vom Pedal nehmen, wenn man den Gang wechseln will. Das ist bei der MGU nicht der Fall. Gänge lassen sich sogar unter Volllast wechseln – nicht immer butterweich, aber extrem schnell.

Wer einen Schaltvorgang über den elektronischen Hebel auslöst, bekommt unverzüglich das Ergebnis serviert. In Sachen Schaltgeschwindigkeit ist die MGU schneller als alle anderen Kettenschaltungen, die wir je getestet haben. Natürlich kann auch im Stand geschaltet werden.

Während die Gangwechsel von 1-4 smooth ablaufen, fällt der Gangsprung von 4 auf 5 und auch der von 8 auf 9 etwas rau aus. Hier wechselt das Getriebe intern den Ritzelblock, auf dem es arbeitet. Und dieser Wechsel kann unter Volllast dazu führen, dass man wenige Grad ins Leere tritt, bevor der Widerstand wieder eingreift. Auch akustisch sind die beiden “Blockwechsel” deutlich zu hören.

Mit 12 Gängen liefert man den Status Quo der Branche. Die 600 % Bandbreite sind allerdings deutlich größer als bei Kettenschaltungen, die im Highend-Bereich in etwa bei 520 % liegen. Der ein oder andere Gangsprung fällt deshalb auch größer aus, als man das gewohnt ist.

Pinion MGU-Praxistest
Schalten unter Last: kein Problem für die MGU. Aber nicht jeder Gangwechsel ist gleich smooth. Von 4 auf 5 und von Gang 8 auf 9 wechselt das Getriebe intern den Ritzelblock. Diese Schaltstufen fallen deutlicher aus als alle anderen Gangwechsel.
Pinion MGU-Schalthebel
Der elektronische Shifter steuert den Stellmotor im Getriebe an. Haptik und Ergonomie des Hebels sind geil. Der Hebel hat ein Kabel und funktioniert nicht per Funk. Der Hebel braucht keine eigene Batterie, sondern speist sich aus dem Hauptakku.
Pinion MGU-System-Controller
Mit dem System Controller kann man die Unterstützungsstufe ändern oder durchs Display im Oberrohr swipen.

Automatikfunktionen

Die Automatikfunktionen sind ein Highlight, die so kein anderer Hersteller bietet. Dabei hat man die Wahl zwischen verschiedenen Funktionen:

Zum einen kann man per App einen Gang auswählen, den das Getriebe einlegen soll, wenn man steht und wieder losfährt. Pinion beschreibt das als Start.Select Funktion.

Mit der Pre Select Funktion kann man eine Wunschtrittfrequenz auswählen. Wenn man bergab auf dem Trail rollt, hält das Getriebe immer den richtigen Gang parat, der zur Geschwindigkeit passt, um die Wunschtrittfrequenz zu erreichen. Alles nett. Aber die Autoshift Funktion schießt den Vogel ab.

Die Autoshift + Funktion ist tatsächlich eine Vollautomatik, die sich selbst kalibriert und automatisch Gänge anpasst. Klingt erstmal gruselig für sportliche Fahrer, funktioniert in der Praxis aber erstaunlich gut – vor allem auf flowigen Trails oder langen Anstiegen. Technische Passagen erfordern manchmal manuelles Eingreifen, was aber jederzeit und ohne An- oder Abschalten einer App möglich ist. Der Schalthebel bleibt auch in der Autoshift + Funktion immer bedienbar.

Insgesamt reduziert das System mit all seinen Automatikfunktionen die Komplexität beim Biken spürbar. Alte Hasen auf dem Bike werden so manche Funktion als überflüssig bezeichnen. Einsteigern in dem Sport hilft es einfach brutal, sich aufs Biken und nicht aufs Schalten zu konzentrieren.

Automatikschaltung Fahrrad
Automatik - klingt für Sportler erst mal befremdlich. Wenn man sich aber drauf einlässt, funktioniert sie erstaunlich gut. Vor allem, weil man jederzeit manuell eingreifen kann und damit die Automatik sogar neu kalibriert.

Gewicht & Handling

Mit gut 4 Kilo ist die MGU schwerer als ein Bosch CX – aber: Schaltwerk und Kassette fallen weg. Rechnet man das raus, beträgt das Mehrgewicht unterm Strich nur rund 270 Gramm. Verkraftbar, denn im Gegenzug fällt sämtliche Wartung im Alltag weg.

Dazu sitzt die Masse tief und zentral im Rahmen, was dem Handling zugutekommt. Gleichzeitig wird die ungefederte Masse am Hinterbau deutlich reduziert – ein spürbarer Vorteil fürs Fahrwerk, den vor allem sportliche Fahrer in der Abfahrt spüren werden. Denn so kann die Hinterradfederung einfach deutlich sensibler arbeiten.

Gates Riemen
Kein Schaltwerk - keine Defektquelle. Vor allem aber wird auch die ungefederte Masse am Hinterrad deutlich geringer. Das lässt das Fahrwerk feinfühliger arbeiten.
Gewicht Kassette
Eine GX T-Type-Kassette wiegt 441 Gramm.
Gewicht Schaltwerk
Das mechanische Schaltwerk wiegt unter 400 Gramm, die elektronische GX Eagle Transmission Version bringt über 400 Gramm auf die Waage.
Riemenspanner
Ein Riemenspanner gleicht die Hinterbaulängung beim Einfedern aus. Das Ding wirkt sehr robust. Wir hatten selbst im Bikepark damit keinen Defekt.
Pinion MGU-Test
Bergab ist das Getriebe komplett leise. Mit der zentralen Gewichtsverteilung ist das Feeling in der Abfahrt sehr gut, obwohl unser Testbike fast 25 Kilo wog.

Sound & Alltag

Im Uphill variiert der Geräuschpegel je nach Gang: In leichten Gängen 1-4 ist die MGU lauter, in schweren Gängen 9-12 ist sie dafür fast unhörbar. In den mittleren Gängen 5-8 liegt das System in etwa auf dem Niveau von vielen Full Power Motoren wie z.B. einem EP801 oder auch einem Bosch CX. Insgesamt bewegt sich das System zwischen „leiser als Bosch“ und „deutlich hörbar“. Bergab bleibt es dagegen absolut ruhig – kein Kettenschlagen, kein Geklapper.

Die Wartungsfreundlichkeit ist top: Ein Ölwechsel alle 10.000 km, dazu ein Riemenantrieb statt Kette – das senkt die Servicekosten und erhöht die Alltagstauglichkeit deutlich.

Pinion MGU-Sound
Die MGU ist je nach Gang entweder flüsterleise oder deutlich hörbar. Je höher der Gang, desto leiser wird die MGU.

Pro

  • Kombination aus Motor und Getriebe spart Verschleißteile
  • Leistung und Reichweite auf Top-Niveau
  • Sehr gutes Fahrwerkshandling dank geringer ungefederten Masse
  • Automatik- und Schaltfunktionen einzigartig auf dem Markt
  • Extrem wartungsarm (Ölwechsel nur alle 10.000 km)

Contra

  • Deutlich hörbar in leichten Gängen
  • Nicht alle Gangwechsel sind gleich smooth (bes. bei internen Blockwechseln).
  • Preis: aktuell fast nur in Bikes ab 8.000 € verbaut
Pinion MGU Fazit
Pinion feilt nicht an Details, sondern will die Schaltung revolutionieren. Und der erste Versuch, das mit der MGU zu machen, ist mehr als ein Achtungserfolg. Die MGU hat noch Verbesserungspotential, ist aber richtungsweisend, wohin es gehen kann.

Fazit zur Pinion MGU

Die Pinion MGU ist kein halbgarer Prototyp, sondern ein ernstzunehmender Gamechanger. Leistung und Reichweite sind konkurrenzfähig, die Automatikfunktionen heben das Fahrerlebnis auf ein neues Level, und die Wartungsfreundlichkeit ist überragend.

Ja, sie ist teurer und in leichten Gängen lauter als die Konkurrenz – aber sie reduziert Komplexität und Verschleiß und bringt echte Vorteile beim Handling. Für viele Fahrer könnte die MGU die Zukunft des E-MTBs sein. Pinion liefert mit seiner MGU eine wirkliche Innovation, an der sich Branchenriesen wie Shimano aktuell die Zähne ausbeißen. Wenn Pinion hier noch an Details arbeitet, schrumpfen die Argumente für eine Kettenschaltung wie das Eis am Nordpol. Für Traditionalisten mit Fokus auf Gewicht und Preis bleibt die MGU vorerst aber ein Exot im Highend-Segment.

Über den Autor

Ludwig Döhl

... hat mehr als 100.000 Kilometer im Sattel von über 1000 unterschiedlichen Mountainbikes verbracht. Die Quintessenz aus vielen Stunden auf dem Trail: Mountainbikes sind geil, wenn sie zu den persönlichen Vorlieben passen! Mit dieser Erkenntnis hat er bike-test.com gegründet, um Bikern zu helfen, ein ganz persönliches Traumbike zu finden.

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