Trail-Bike oder All-Mountain?

Canyon Neuron:ON im Test

E-Mountainbike Fullys folgten zuletzt einem klaren Trend: Viel Federweg hilft viel. 150 bis 160 mm Federweg haben sich großflächig durchgesetzt – vor allem im Segment der Full Power E-Bikes. Canyon hingegen setzt mit dem Neuron:ON auf Effizienz und belässt es bei schlanken 140 mm Federweg an Front und Heck. Wie tourentauglich ist das Neuron:ON wirklich und kann es trotz des schmalen Federwegs auch grobes Gelände?

Das Canyon Neuron:ON im Test
Das Canyon Neuron:ON mit 140 mm und voller Motorpower. Kann es im Test überzeugen?

Neuron – ein Name, der bei Canyon seit über 10 Jahren ein Synonym für „Allzweckwaffe“ ist. Nicht ohne Grund ist das Neuron ohne Motor Canyons erfolgreichstes Mountainbike. Neuron-Fahrer schätzen und lieben den Komfort, die Effizienz und das ausgewogene Fahrverhalten des gutmütigen Allrounders. Und auch wenn Canyon zuletzt mit dem Neuron:ONfly ihr erstes light EMTB vorgestellt haben, bleibt der Full Power Bolide immer noch ein heißer Kandidat im Webshop des Direktversenders.

Wer sich für das Neuron:ON interessiert, ist aber sicherlich schon über Canyons Werbebilder gestolpert, die das Bike in seinem natürlichen Habitat zeigen sollen. Von Touren-Biken ist da zur großen Verwunderung nichts zu sehen – stattdessen adrenalingeladene Trail-Eskapaden. Das weckt den Eindruck, als sei das elektrifizierte Neuron:ON zum Enduro-Bike für Adrenalin-Junkies mutiert. Ja was denn nun?

Einsatzbereich des Canyon Neuron:ON

Das Canyon Neuron:ON auf den Trails von Finale
Ist das Bike für den groben Einsatz gedacht oder fühlt es sich wohler auf moderatem Untergrund?
Bei der Bereifung setzt Canyon auf den Nobby Nic von Schwalbe.
Die Schwalbe Nobby Nic Reifen sind der begrenzende Faktor im Gelände. Sie passen zum Trailbike-Einsatzgebiet, haben auf losem Untergrund aber wenig Grip.

Zieht man das Bike aus dem Canyon-typischen Versandkarton, wird schnell klar, wohin das Bike gehört – und wo es eben nicht hingehört. Auf jeden Fall nicht in extremes Gelände. Denn schon die dünnwandigen Reifen sind nicht für die harte Gangart gemacht. Dafür begeistern die Schwalbe Nobby Nic mit hervorragenden Rolleigenschaften – ideal für lange Touren.

Auch die Sitzposition spricht eher für komfortables Dahingleiten als für aggressives Trail-Shredden. Das Neuron: ON hat eine moderne Geometrie mit langem Reach mit 485 mm in Größe L. Trotz des langen Hauptrahmens fällt die Sitzposition erstaunlich aufrecht aus. Das liegt neben dem steilen Sitzwinkel auch am langen Steuerrohr. Das Steuerrohr bringt das Cockpit weit nach oben, wodurch der Fahrer aufgerichtet wird. Die Zeichen verdichten sich: das Neuron: ON ist gemacht für die Tour.

Das Canyon Neuron:ON im Test – welche Eigenschaften hat das Bike?
Ballern "light": Das Bike ist beim Blick auf die Specs eindeutig nicht für grobe Enduro-Trails gebaut.

Das Neuron:ON in Zahlen

  • Federweg: 140 mm / 140 mm (v./h.)
  • Laufradgröße: 29”
  • Gewicht: 22,8 kg (Testbike in Gr. L)
  • Material: Carbon (Hauptrahmen & Hinterbau)
  • Erhältliche Größen: S, M, L, XL
  • Motorsystem: Bosch Performance Line CX – Smart System
  • Akku: 750 Wh, nicht herausnehmbar
  • Range Extender: Ja, als Zubehör von Bosch (250 Wh)
  • Besonderheiten: Bosch ConnectModule, viele digitale Erweiterungen via App
  • Bike Kategorie: 3e (Trail-Bike)
  • Max. Gesamtgewicht: 130 kg
  • Preis: 6.999 €
Canyon Neuron:ON Speed Sensor
Der Speed Sensor für das Bosch-System am Hinterrad wird am Ventil befestigt.
Canyon Neuron: ON Bremsen
Canyon verpasst dem Bike an Front und Heck große 200er Bremsscheiben. So verzögert die Sram Code Anlage adäquat.

Der Blick auf die Ausstattung: Kann Canyon noch Preis-Leistung?

Das Top-Modell der Neuron:ON Familie trägt den Zusatz CF 9 und kostet 6.999 Euro. Damit kostet es genau so viel wie das zuletzt getestete Cube Stereo Hybrid 155 SLX. Eine Menge Geld, vor allem für den Versender aus Koblenz, der ursprünglich für ein starkes Preis-Leistungs-Verhältnis bekannt war. Andererseits ein Preis, den man im E-MTB-Bereich hinlegen muss, wenn man was Vernünftiges haben will.

Trumpft das Canyon mit High-Tech auf? Ja und nein. Die Ausstattung ist top-aktuell, denn geschaltet wird via Funk mit SRAMs brandneuer Transmission-Schaltung. Die elektronischen Transmission-Schaltwerke kommen ohne klassisches Ausfallende aus und werden direkt am Hinterbau auf der Hinterradachse aufgehängt. Das ergibt eine steife Verbindung zwischen Schaltwerk und Rahmen. Die Schaltpräzision dieser neuen Technologie ist Spitzenklasse.

Die restliche Ausstattung lässt sich als zweckmäßig und vernünftig beschreiben. Dafür, dass das Neuron:ON CF 9 die Speerspitze der Produktlinie darstellt, fällt die Wertigkeit der Komponenten erstaunlich durchschnittlich aus. Ein günstiger RockShox Deluxe Select Dämpfer, eine uninspirierte X1 Kurbel und billige Griffe passen nicht so recht ins Gesamtbild.

Das Canyon Neuron:ON im Test - der RockShox Dämpfer
Dass der Rock Shox Dämpfer keinen Ausgleichsbehälter hat, ist in der Federwegsklasse kein Kritikpunkt.
Die Schaltung am Canyon Neuron:ON
SRAMs Eagle-Transmission-Schaltung ist perfekt für E-Bikes, weil sie die Gänge auch unter Volllast wechselt.

Was bietet die Konkurrenz auf dem Markt?

Zum Vergleich: Deutschlands größter Fahrradhersteller Cube bietet mit dem Stereo Hybrid 140 HPC ActionTeam ein Trail-Bike an, das dem Neuron:ON verdammt ähnlich ist: Bosch-Motor mit großem 750er Akku, 140 mm Federweg an Front und Heck und 29“ Laufräder.

Obwohl Cube über den Fachhandel an den Start geht, ist das Hybrid 140 HPC ActionTeam 200 € günstiger als das Canyon. Auf eine elektronische Funkschaltung muss man zwar verzichten, dafür bietet das Cube eine stärkere Bremsanlage, eine hochwertigere Sattelstütze und vor allem ein edles Fox Factory Kashima Fahrwerk. Das bringt das Neuron:ON CF9 in Bedrängnis.

Doch in einer Sache behält das Canyon Oberwasser: beim Gewicht. Ganze 1,5 kg ist das Neuron:ON leichter als das Stereo Hybrid. Das ist eine Ansage. Unser Testbike bringt schlanke 22,8 kg auf die Waage. Für ein Full Power E-MTB mit großem Akku ein beachtlicher Wert – vor allem in der Preisklasse. Das wirft die Frage auf, welche Kompromisse man aufgrund des Leichtbaus in Kauf nehmen muss?

Das Gewicht des Canyon:ON Neuron
Schlanke 22,8 kg bringt das Bike auf die Waage.
Canyon Neuron:ON Kettenführung
Die Kettenführung hält die Kette auch im rauen Gelände sicher auf dem Kettenblatt.
Schalthebel Canyon Neuron:ON
Hochwertig und zeitgemäß: Sowohl Schaltung als auch Schalthebel der SRAM Transmission haben Spitzenwerte.

Reifen machen Räder

Der stärkste Kompromiss für kontrollierten Geländespaß sind die Reifen. Zwar messen die Schwalbe Nobby Nic eine Breite von 2,4“ – doch montiert auf den 30 mm breiten DT Swiss Felgen wirken die Reifen ziemlich schmal. Der Eindruck bestätigt sich im Gelände. Die Reifen finden auf losem Untergrund nur mäßigen Halt. Bei Nässe und Schlamm fällt der Grip noch mal ab.

Auch in Sachen Pannensicherheit sind die Reifen keine Referenz – entsprechend hoch sollte der Luftdruck gewählt werden. Das wirkt sich auf den Komfort aus. Breitere Reifen mit einer weicheren Gummimischung und einer zäheren Karkasse würden dem Neuron:ON gut zu Gesicht stehen – zumindest wenn man den Weg ins grobe Gelände sucht. Ein Umstand, den Käufer im Nachgang aber auch selbst anpassen können.

Der Reifen des Canyon Neuron:ON
Auf losem Untergrund nur mäßiger Halt: Die Bereifung könnte eine weichere Gummimischung mit einer zäheren Karkasse vertragen.

Der Neuron:ON Rahmen – Stärke liegt im Detail

Kompromisslos präsentiert sich der mächtige Carbon-Rahmen. Die Steifigkeit des Rahmens ist deutlich zu spüren – das Neuron:ON fühlt sich an wie ein Brett – oder besser gesagt wie ein T-Träger. Von Nachgiebigkeit ist nichts zu spüren – jeder Impuls des Fahrers wird vom Bike ohne Verluste umgesetzt.

Ob im Wiegetritt beim Sprint an steilen Rampen oder im Eco-Modus, wenn das Zutun aus eigener Muskelkraft gefragt ist, maschiert das Canyon willig nach vorne. Die Tretkraft scheint ohne nennenswerte Verluste am Hinterrad anzukommen. Dieses Gefühl von Effizienz unterstreicht die Tourentauglichkeit des Neuron:ON.

Rahmen des Canyon Neuron:ON
Steifigkeit mit T-Träger: Der Carbon-Rahmen des Neuron:ON setzt Pedalimpulse sofort in Vortriebseffizienz um.

Fahrwerk: Effizienz ist Trumpf

Effizient ist auch das straffe Fahrwerk. Obwohl der Rock Shox Deluxe Select Dämpfer ohne Lock-Out-Funktion auskommt, verhält sich der Hinterbau beim Treten erstaunlich neutral – also ruhig. Der Hinterbau des Neuron:ON reagiert zwar feinfühlig auf kleine Schläge, ist aber keineswegs plush. Im Gegenteil: der Hinterbau ist straff, nutzt den Federweg sehr definiert und gibt direktes Feedback vom Untergrund.

Auf moderaten Singletrails führt das zu einem hohen Sicherheitsempfinden. Man spürt bestens, was das Rad unter einem macht. Das Neuron:ON verhält sich sehr vorhersehbar – Fahrfehler verzeiht es hingegen kaum. Geht es im Gelände wild zur Sache, reicht der Hinterbau starke, tiefe Schläge an den Fahrer weiter. In extremem Gelände wird das Bike unruhig. 140 Millimeter sind eben nur 140 Millimeter Federweg. Hoffnungen, dass es sich beim Neuron:ON um ein leichtes Enduro handelt, muss man ganz klar eine Absage erteilen.

Das Canyon Neuron:ON auf dem Trail
Es bedarf einer präzisen Fahrweise, denn Fehler verzeiht das Canyon kaum.
Canyon Neuron:ON Federweg
Die 140 Millimeter machen sich im gröberen Gelände bemerkbar. Hier wirkt das Bike etwas unruhig.

Kann das Neuron:ON Langstrecke, oder geht dem Akku die Puste aus?

Das Neuron:ON ist ein Touren-Bike – genau wie sein Bruder ohne Motor. Doch wenn es um Tagestouren geht, hat ein E-Bike immer einen limitierenden Faktor: den Akku. Wohl dem, dessen Bike auf Effizienz getrimmt ist. Das Neuron:ON ist so ein Bike. Und es kommt mit großem Akku. Im Unterrohr sitzt ein Bosch Power Tube mit 750 Wh – der ist allerdings fest verbaut und lässt sich auf Tour nicht mal eben tauschen.

Canyon Neuron:ON mit Bosch CX Motor
Der Bosch CX Motor ist aktuell die Benchmark im Full-Power-Segment.

Wem die Reichweite des 750er Akkus noch nicht genug ist, der bekommt mit Boschs neuem PowerTube Range Extender weitere 250 Wh. Satte 1.000 Wh stehen dann zur Verfügung. Canyon bewirbt die Erweiterung durch den Range Extender zwar nicht, doch auf Anfrage wurde uns bestätigt, dass der Range Extender mit dem Neuron:ON kompatibel ist. Damit ist klar: Dem Akku geht die Puste nicht aus.

Uphill-Flow auf dem Singletrail oder gemütlicher Schotterweg-Cruiser?

Der Bosch CX Motor verdreifacht die eigene Muskelkraft, denn seine Unterstützung liegt bei 340 Prozent. Im Turbo-Modus geht es damit wie im Flug nach oben. Wem die volle Unterstützung zu viel ist, der kann sich die unterschiedlichen Modi praktisch auf dem Smartphone individuell konfigurieren.

Alles, was es dafür braucht, ist die kostenlose E-Bike Flow App von Bosch. Der Motor gibt einem satt Unterstützung – so viel, dass man auch anspruchsvolle Pfade berghoch erklimmen könnte. Denn das Neuron:ON ist grundsätzlich ein guter Kletterer. Eingeschränkt wird das Uphill-Abenteuer allerdings durch die mäßige Traktion am Hinterreifen und die hohe Front. An steilen Rampen steigt das Vorderrad. Dadurch ist es schwierig, bei so viel Schub von hinten die Spur auf extremen Uphill-Trails zu halten.

Auf mäßig steilen Pfaden hingegen marschiert das Canyon souverän nach oben. Und wer ohnehin nicht auf dem Trail zum Gipfel fahren will, der findet mit dem Neuron:ON auf befestigten Wegen einen effizienten und schnellen Gipfelstürmer.

Das Control Center am Canyon Neuron:ON
Das Neuron:ON kommt ohne Display daher. Akkustand und Unterstützungsstufe werden über das Bosch-Element im Oberrohr kommuniziert.
Cockpit Canyon Neuron:ON
Die Zugführung durch den Steuersatz ist modisch, aber nicht jedermanns Sache.

Flow-Trail oder Enduro-Track: Wo ist das Neuron:ON zuhause?

Geht es bergab, zeigt sich das Neuron:ON mit zwei Gesichtern – je nach Untergrund und Gefälle. Auf moderaten Trails begeistert das Bike mit einem präzisen Handling. Der steife Rahmen und das straffe Fahrwerk resultieren in einem direkten Lenkverhalten. Auf festem Untergrund fühlt man sich gut im Bike zentriert und kann die Bremsen beherzt aufmachen.

Je ruppiger und loser der Trail jedoch wird, desto mehr verliert das Neuron:ON seinen souveränen Charakter. Wie das Focus Jam² SL oder auch das Scott Lumen hat dieses Bike bergab einfach einen klar begrenzten Einsatzbereich. Das ist typisch für Bikes dieser Federwegsklasse. Wer extreme Strecken ohnehin meidet, wird mit dem Canyon glücklich. Wer mit einem Besuch im Bikepark liebäugelt, findet bei Canyon mit dem Spectral:ON oder gar dem Strive:ON bessere Alternativen.

Das straffe Fahrwerk ist Licht und Schatten zugleich: einerseits fühlt sich das Bike sehr definiert an, andererseits reichen die Federelemente schnelle, harte Schläge an den Fahrer weiter. Allerdings muss man auch hier den Reifen eine Teilschuld geben. Dennoch, das Neuron:ON ist kein All Mountain Fully, dafür hat es zu wenig Reserven und nicht die nötige Schluckfreudigkeit, um es auch mit großen Schlägen aufzunehmen.

Das Canyon Neuron:ON auf dem Trail
Das Canyon Neuron:ON sorgte bei unserem Test auf moderaten Trails für ein zufriedenes Grinsen – je ruppiger es wurde, desto mehr war das Bike allerdings außerhalb seiner Komfortzone.

Licht und Schatten

Pro

  • niedriges Gewicht für ein Full-Power-EMTB
  • Sehr effizient auf langen Touren.
  • viel Platz für große Trinkflaschen
  • komfortables Gesamtpaket
  • durchdachte Rahmendetails

Contra

  • Schlechte Dämpfung der Griffe (mäßig komfortabel)
  • mäßiger Grip der Reifen
  • mäßige Power der Bremsen
  • nicht mehr das Preis-Leistungs-Wunder, das Canyon mal war
Canyon Neuron:ON Sattelstütze
Die versenkbare Sattelstütze könnte etwas mehr Hub vertragen.
Canyon Neuron: ON Steckachse
Praktisch: Die Canyon Steckachse am Hinterrad lässt sich ohne Werkzeug öffnen. Sie hat einen integrierten Hebel.

Zum Vergleich: Das Canyon und einige seiner Artgenossen

Fazit zum Canyon Neuron:ON

Canyon richtet sein Neuron:ON stringent für lange Touren auf moderaten Trails aus. Wer sich für diesen Einsatzbereich angesprochen fühlt, bekommt mit dem Neuron:ON einen kompromisslosen Partner für lange Tage im Sattel. Dicker Akku, effizienter Vortrieb, viel Schub im Uphill. Ein tolles Rad für lange Touren, vorausgesetzt die Route führt nicht in allzu extremes Gelände.

Denn durch die konsequente Ausrichtung ist das Canyon Neuron:ON kein Schweizer Taschenmesser. Anspruchsvolle Abfahrten verlangen dem Fahrer viel Kraft und Konzentration ab. Das Bike ist auf flowigen Trails zu Hause. Wer mehr will, kann mit griffigeren Reifen noch viel Downhill-Potenzial aus dem Bike herausholen.

Über den Autor

Maxi Dickerhoff

...liebt es, mit der Hangabtriebskraft zu spielen und bewegt Mountainbikes bergab meist in Schräglage. Sein Fahrstil verlangt den Bikes alles ab, seine Liebe zum Detail macht seine Tests zu einer wahren Hilfe für alle Biker.

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