Wie viel Leistung braucht ein EMTB?
Das Wettrüsten unter den Motorenherstellern hat begonnen. Die Leistungswerte jüngster EMTB-Motoren explodieren. Was technisch beeindruckend ist, kann und sollte hinterfragt werden.

Fast 900 Watt konnten wir in unserem Leistungstest dem aktuellen DJI Avinox-Motor entlocken. Das entspricht 1,2 PS oder in etwa der doppelten Dauerleistung eines Jan Ullrich in Bestform. Diese Zahlen können begeistern – auf dem Papier und in der Praxis.
Denn obwohl der Motor den Hauptteil der Leistung beisteuert, fühlt es sich so an, als könnte man aus eigener Kraft Rampen mit 20 % Neigung mit über 15 km/h hochfahren. Man steigt von der Couch auf ein E-Bike und kann sich plötzlich mit einer Leichtigkeit fortbewegen, die selbst Olympioniken auf dem Höhepunkt ihrer Karriere nicht erreichen.
Im Straßenverkehr hängt man beim Beschleunigen an der Ampel jedes Auto ab – dem geringen Gewicht des EMTBs sei Dank. Im Gelände schreckt man vor keiner Steilstufe mehr zurück. Mit völlig neuem Selbstbewusstsein geht man in technische Schlüsselstellen rein. Im alpinen Gelände werden plötzlich Ziele für jedermann erreichbar, für die Bike-Bergsteiger bis vor Kurzem noch ihre Bio-Bikes schultern mussten.
Über Jahre hinweg galten Leistungswerte von um die 600 Watt und 85 Nm Drehmoment in der Industrie als gesetzt. Es schien fast so, als hätten sich Bosch, Shimano und auch alle anderen relevanten Motorenhersteller im stillen Kämmerchen auf diese Werte geeinigt. In Wahrheit waren es natürlich das Ringen um Akzeptanz und große Marktanteile, die die Leistungsentwicklung der E-Bikes im Zaum gehalten haben.
Denn die gesetzliche Vorgabe der 250 Watt Nenndauerleistung im thermisch eingeschwungenen Zustand eines E-Bike-Motors ist so schwammig formuliert, dass selbst Experten diesen Orientierungswert als nicht nachvollziehbar einstufen. Ob der DJI-Motor über dieser gesetzlichen Vorgabe liegt und eigentlich in die Kategorie der Mofas fällt, hat hierzulande wohl noch niemand überprüft. Wo kein Kläger, da kein Richter.
Die Tatsache, dass sich die in Deutschland etablierten Konkurrenten gegen den neuen Player in diesem Punkt aber nicht entschieden wehren, zeigt: Man ist sich in Bezug auf die Auslegung der Vorgabe wohl selbst nicht zu 100 % sicher. Oder die EU-Norm ist schlichtweg so schwach formuliert, dass es möglich ist, die 250 Watt Nenndauerleistung tatsächlich zu vervielfachen.

Bosch versucht immerhin argumentativ, das Moral-Keulchen zu schwingen. Die Schwaben selbst sehen die Leistungsexplosion bei E-Bikes kritisch. Der Beweis dafür, dass man das halbwegs ernst meint: Ihr jüngster Motor hat dasselbe Leistungsniveau wie seine Vorgänger. In Wahrheit ist man sich aber bewusst, dass man die Geister, die jetzt durch die Wälder schweben, zu einem gewissen Maß selbst gerufen hat.
Wer Uphillflow schreit, wird die Forderung nach Leistung als Antwort bekommen. Während die ursprüngliche Bike-Szene das EMTB mittlerweile akzeptiert, bringt das neue Leistungsniveau eine ganz andere Herausforderung mit sich. Denn die Akzeptanz von E-Bikes unter Naturschützern, Wanderern oder anderen Naturnutzern fällt schlagartig, wenn das Tempo im Gelände steigt. Versicherungsverbände reiben sich langsam die Hände in der Hoffnung auf eine Versicherungspflicht für E-Bikes. Der Bike-Industrie dagegen wird Angst und Bange, wenn so eine kommen sollte.
Der neue DJI-Motor hat die Diskussion über die Leistungsfähigkeit von EMTBs nicht entzündet, aber er treibt sie auf die Spitze. Und das einzige Argument, diese Diskussion zu entkräften, ist die Vernunft des Individuums. Wie wahrscheinlich ist die persönliche Maßregelung im Einsatz der maximalen Leistung?
Wer die Leistung hat, wird sie einsetzen. Die Frage ist nur, wo, wie oft und unter welchen Umständen. Man kann schließlich auch einen Porsche GT3 regelkonform durch eine 30er-Zone bewegen. Und wer es darauf anlegt, wird mit einem 3er Golf auf der Autobahn geblitzt. Und genau so verhält es sich mit der Leistung der E-Bikes.
Entscheidend ist, was der Mensch daraus macht. Nicht wie man Dinge reguliert.
Wer einmal den Boost-Modus von DJI gespürt hat, kann Beschreibungen von Suchtabhängigen plötzlich nachvollziehen. Aber muss man diese Sucht am Sonntagnachmittag auf hochfrequentierten Wanderwegen ausleben? Und wenn doch, vertraue ich auf die langfristige Erziehungswirkung von grummeligen, aber berechtigten Kommentaren anderer Naturnutzer oder Biker.

Exkurs zur Nenndauerleistung
In Deutschland gibt es klare gesetzliche Vorgaben für E-Bikes (Pedelecs), die ohne Führerschein und Versicherungspflicht gefahren werden dürfen:
- Motorleistung:: Maximal 250 Watt Nennleistung.
- Tretunterstützung:: Der Elektromotor darf nur unterstützen, wenn der Fahrer in die Pedale tritt (keine reine Motorfahrt).
- Geschwindigkeitsbegrenzung:: Die Unterstützung darf nur bis zu 25 km/h erfolgen. Danach muss sich der Motor abschalten.
- Keine Anfahrhilfe über 6 km/h:: Eine Anfahrhilfe bis 6 km/h ohne Treten ist erlaubt, aber darüber hinaus darf der Motor nur bei aktivem Pedalieren unterstützen.
Wenn diese Kriterien erfüllt sind, gilt das E-Bike rechtlich als Fahrrad und darf ohne Führerschein, Zulassung oder Versicherung gefahren werden. Ein Helm ist nicht vorgeschrieben, aber empfohlen.