Zu Besuch bei Magura
Magura entwickelt, produziert, montiert und vertreibt seine Bremsen in Bad Urach. Diese seltene Konstellation lockte uns auf die Schwäbische Alb in den Firmensitz von Magura. Bei einer Tour durch das Werk wurde eindrucksvoll klar, dass Made in Germany nur mit Köpfchen funktioniert.
Hauptbau, Anbau, Neubau, Nebengebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite und das ehemalige Wohnhaus der Familie Magenwirth. Wer den Eingang zu Maguras Firmenzentrale sucht, braucht einen guten Orientierungssinn. Wer ihn gefunden hat, wird im Empfangsbereich von einem metallenen Abbild von Gustav Magenwirth begrüßt.
Der Blick in die in Metall gegossenen Augen des Gründers verrät: Diese Firma hat eine lange Historie. Was das Abbild des 1931 verstorbenen Gustav Magenwirth nicht verrät: Die Firma Magura hat den Mountainbike-Sport nicht nur einmal revolutioniert. In den 90er-Jahren war Magura mit der ersten hydraulischen Felgen- und Scheibenbremse technischer Vorreiter der Branche. Heute will man uns in Bad Urach davon überzeugen, wie man im globalen Haifischbecken der Fahrradindustrie als familiengeführter Betrieb von der Schwäbischen Alb überleben kann.
Fakten zu Magura
- Das Gründungsjahr: 1893
- Mitarbeiter: ca. 700
- Standorte: Bad Urach (HQ), Hülben, Hengen (alle GER), Taichung (ASIA, Produktion), Illinois (USA, Vertrieb)
- Branchen: Fahrrad, Motorrad, Automobilzulieferer, Kunststofffertigung
- Besonderheit: entwickelt, fertigt und vertreibt Produkte am Standort Deutschland
- Meilensteine: Erste hydraulische Felgenbremse für Bikes, erste hydraulische Scheibenbremse für Bikes, Carbotecture-Entwicklung, ABS-System für Fahrräder, Bremslastverteiler für Lastenräder, vollkommen integriertes Cockpit für Bikes (MCi)
Magura geht seinen eigenen Weg bei der Wertschöpfungskette.
Um zu verstehen, was die Firma Magura besonders macht, muss man die globalen Wertschöpfungsketten der Fahrradbranche kennen. Denn im Normalfall funktionieren selbst die prestigeträchtigsten Bike-Firmen nach einheitlichem Schema. Entwicklung, Marketing und Vertrieb werden marktnah in Europa oder USA betrieben. Produktion und meist auch Montage der Produkte finden in Asien statt. Es gibt wenige Standards, auf die man sich in der Fahrradwelt geeinigt hat, doch dieses Geschäftsmodell ist einer. Branchenübergreifende Lieferengpässe während der Corona-Krise haben jedoch die Komplexität dieser klassischen Wertschöpfungskette offengelegt.
Magura konstruiert, produziert und montiert seine Bremsen in Deutschland.
Götz Braun, Teamleiter Corporate Marketing bei Magura, schmunzelt nur, wenn man das Thema Produktionsstandort anspricht:
Wir machen seit Jahrzehnten das, was viele Firmen der Bike-Branche seit Corona verstärkt versuchen.
Denn der Löwenanteil der Magura Produkte wird nicht nur in Bad Urach konstruiert und vertrieben. Vor allem die Bremshebel und auch die Kleinteile im Innenleben werden auf der Schwäbischen Alb gefertigt und zu einer kompletten Bremse montiert. Die Standorte Bad Urach, das 6 Kilometer entfernte Kunststofftechnologiezentrum Hülben und das nahegelegene Produktionswerk in Hengen decken den größten Teil der Wertschöpfung einer Magura Bremse ab.
Wenn über 45% der Wertschöpfungskette in Deutschland liegen, darf man von „Made in Germany“ sprechen. Magura könnte das, übt sich aber in Understatement. Der Bremssattel und die Scheiben kommen aus Asien. Das wird nicht verschwiegen. „Um Rechtfertigungsprozesse zu umgehen, schreiben wir auf unsere Verpackungen designed und engineered in Germany“, nimmt Götz Braun kein Blatt vor den Mund. Das Know-How in der Fertigung und eine etwas unkonventionelle Materialwahl machen es aber möglich, aus den üblichen Bahnen der Branche auszubrechen und auch in Deutschland zu fertigen. Damit bleibt Magura seiner Tradition treu.
Pfiffig und unkonventionell seit über 130 Jahren
Das Metallbild im Eingang ließ es vermuten, das verstaubte Archiv am Dachboden gibt die Gewissheit. Die Historie der Firma Magura ist lang. Um genau zu sein: 130 Jahre lang. Als Gustav Magenwirth die Firma 1893 gründete, waren Mountainbikes noch lange nicht erfunden. Doch schon das erste Produkt der Firma Magenwirth war artverwandt mit dem aktuellen Bremsen-Lineup von Magura. Mit hydraulischen Pumpen hat die Firma Magura sich im 19. Jahrhundert einen Namen gemacht.
Aber schon früh hat der pfiffige Gustav Magenwirth das Portfolio der Firma erweitert. Die Erfindung des Geradzugs für Gas-, Kupplungs- und Bremsgriffe für Motorräder war im frühen 20. Jahrhundert so revolutionär, dass dieses Bauteil bis heute im Firmenlogo präsent ist. Das Archiv zeigt eindeutig, wo der Schwerpunkt in der frühen Unternehmensphase lag. Motorradfahrer hatten seitdem keine Probleme mehr mit gebrochenen Zügen, und Magura stieg in die Serienfertigung für ganze Baureihen ein. Der Motorradhersteller BMW vertraut seit über 100 Jahren auf die Produkte aus dem Ermstal der Alb.
Unter weiblicher Führung durch die Nachkriegszeit
Es war unkonventionell, aber in der Nachkriegszeit kurbelte Magura unter der Führung von Martha Munz-Magenwirth das Wirtschaftswunder an. Mit einer Frau an der Spitze wurden in Bad Urach die Tankuhren für den Käfer, das Symbol des Wirtschaftswunders, in ganzen Wagenladungen gefertigt. Man kann heute nur mutmaßen, was es bedeutete, als Frau die Geschicke einer Firma zu leiten, während die restliche Geschäftswelt und Politik von zigarrenrauchenden Männern bestimmt wurde.
Und diese unkonventionelle, aber verlässliche Art ist es auch, welche Magura bis heute ausmacht. Angeblich löschte Martha Munz-Magenwirth bis ins hohe Alter von über 80 Jahren täglich das Licht in den Firmengebäuden nach Feierabend. Bis heute ist Magura ein familiengeführter Betrieb, welcher es nicht scheut, sich gegen die Konkurrenz mit unkonventionellen Herangehensweisen durchzusetzen.
Die Stärke von Magura liegt im Know-how der Kunststofffertigung
Auch heute noch fertigt Magura unter anderem im Auftrag der Automobilindustrie Kunststoffteile in höchster Qualität. Herr Glaser leitet das Fertigungswerk in Hülben und schätzt über den Daumen, dass etwa 50 % der Produktionskapazitäten des Kunststoffspritzgusses von Fremdaufträgen belegt sind. Die andere Hälfte nutzt Magura, um seine eigenen Bremshebel zu fertigen.
Glaser geht durch das beeindruckende Werk und greift in beliebige Kisten. Hier Distanzringe für Automatikgetriebe, dort Ladebuchsen für E-Autos und hier drüben, „bitte nicht anfassen, die sind noch heiß“, die Hebel für die eigenen HS-Bremsen. Hört man ihm zu, wenn er durch das Werk geht, wird klar: Dieser Mann ist kein typischer Werksleiter. Dieser Mann ist ein Missionar für die Kunststofftechnik.
Viele denken bei Kunststoff an Joghurtbecher. Das, was wir hier machen, ist aber weit mehr als billiges Verpackungsmaterial. Wir fertigen komplexe Bauteile aus Hochleistungskunststoff.
Glaser erklärt Prozesse, lässt Maschinen zur Veranschaulichung anlaufen und erzählt Geschichten, wie er selbst das Carbotecture-Material, aus dem die Bremshebel gefertigt sind, als Hufeisen für seine Pferde getestet hat. „Das Hufeisen aus Carbotecture könnt ihr euch gern anschauen. Für mich liegt darin die klare Abgrenzung zum Joghurtbecher“, gibt Glaser seiner Begeisterung Nachdruck.
Kunststofftechnik – Maguras Schlüssel für die konkurrenzfähige Fertigung in Deutschland
Maguras MT Scheibenbremsen sind als exzellente Stopper unter Mountainbikern bekannt. Die Firma brüstet sich mit den besten Athleten der Gravity-Szene. Danny MacAskill, Loic Bruni oder Fabio Wibmer gehören zur Marketingstrategie der Schwaben. Und auch aus objektiver Position kann man sagen: Wer besonders schnell, lange oder mit viel Gewicht bergab fährt und punktgenau verzögern möchte, ist mit einer Vier-Kolben-Bremsanlage von Magura gut beraten.
Wer sich die Bremsen in den gängigen Webshops ansieht, wird feststellen, dass sie preislich auf ähnlichem Niveau wie die der Konkurrenz liegen. Mondpreise und lange Lieferzeiten, wie man es bei einer deutschen Produktion erwarten würde, gibt es bei Magura nicht. Ein Schlüssel dafür liegt mit Sicherheit im langen Produktlebenszyklus der Bremsen. Seit über 12 Jahren halten sich die MT-Modelle ohne offensichtliche Veränderungen auf dem Markt. Und dennoch gab es in dieser Zeit 51 Revisionsschleifen, in denen man das Produkt in Details verbessert hat, bestätigt der Produktmanager im Interview.
Der zweite Schlüssel sind die Verarbeitungsmöglichkeiten, die der Kunststoff bietet. Im Werk in Hülben fallen die Geber der Bremse montagefertig aus der Maschine. Ein vergleichbares Metallteil müsste nach der Druckgussfertigung zahlreiche weitere Produktionsschritte durchlaufen, bevor alle Oberflächen den montagefertigen Zustand haben.
Wenn man weiß, wie es geht, lässt sich das Carbotecture Material ohne technische Abstriche deutlich effizienter als Metall verarbeiten
, gibt Detlef Glaser zu Protokoll. Weniger Arbeitsschritte und geringere Energie- und Transportkosten machen die Fertigung der Magura-Bremshebel in Deutschland möglich.
So werden aus Einzelteilen Magura-Bremsen
Wir haben die Firmenzentrale und Kunststofffertigung gesehen. Aber noch fehlt die finale Hochzeit der Einzelteile zur fertigen Bremse. Deshalb geht es von Hülben nach Hengen. Nur wer in einen blauen Arbeitsmantel schlüpft, darf die Montagestraße besichtigen. Denn der Fussel ist der Todfeind der Hydraulik. Der blaue Mantel schützt den Arbeitsraum vor Verunreinigung durch Besucher. Sollte dennoch ein Fussel vom Pullover fallen, wird dieser durch leichten Überdruck auf den Boden gedrückt, welcher regelmäßig gereinigt wird.
Vor dem kleinen Zwischenlager vor der Montagestraße werden alle Bauteile in normkonforme Kisten gepackt. Magura ist Zulieferer der Automobilindustrie und auch als solcher zertifiziert. Auch die Fahrradsparte unterliegt den Auflagen dieser Zertifizierung. Und fremdes Verpackungsmaterial hat in solch zertifizierten Montagestraßen keinen Platz. Die Frage nach dem großen Hauptlager kennt nur eine kurze Antwort. „Wir arbeiten nach Kanban.“ Kurzum: Einzelteile werden in den nötigen Mengen just in time geliefert. Ein großes, zentrales Hauptlager mit üppigen Vorräten gibt es nicht.
Kleine Materialwagen beliefern die einzelnen Montagestraßen mit dem, was sie für die Produktion brauchen. Wir folgen einem solchen Wagen und erleben die perfekte Symbiose aus Mensch und Maschine. Auf Spezialmaschinen werden akkurat definierte Arbeitsschritte durchgeführt, um Einzelteile mit gleichbleibender Qualität zur Bremse zusammenzufügen. Hier werden die Metall-Bremssättel und Leitungen mit Carbotecture Hebeln aus Hülben verheiratet. Bei der automatischen Befüllung und Prüfung auf Dichtigkeit des Systems ist man sich so sicher, dass man sogar eine 5-Jahres-Garantie darauf gibt, dass Magura Bremsen kein Öl verlieren.
Mit Tradition in die Zukunft
Nach einem Tag im Herzen der Firma Magura wird klar: Die Firma Magura ist deutlich moderner als es die 130 Jahre lange Tradition erwarten lassen würde. Hier in Bad Urach hat man sich die Fähigkeit, Produkte in Serie marktnah zu produzieren, durch die Hochzeit der Globalisierung hindurch bewahrt.
Anstatt den einfachen Weg zu gehen und schnell dem Trend zu folgen, hat man sich in der beachtlichen Firmengeschichte meist dazu entschlossen, unkonventionell zu bleiben. Heute ist Magura mit seiner Produktion in Deutschland und der schnellen Reaktionsmöglichkeit auf neue Gegebenheiten Trendsetter. Und diese Stärke zeigt sich nicht nur in der Fertigung von Produkten, sondern auch in den Produkten selbst.
Diese Innovationen gibt es aus dem Hause Magura
Das ABS-System für E-Bikes, welches man zusammen mit Bosch entwickelt hat, ist nur ein Beispiel für die Innovationskraft der Schwaben. CBS heißt die Technik für die Bremslastverteilung zwischen Vorder- und Hinterrad, welche vor allem an Cargo- oder Lastenrädern zum Einsatz kommt.
Auch das integrierte Cockpit MCI zeigt, dass man in Bad Urach auch 2023 noch bereit ist, seinen eigenen Weg zu gehen. Anstatt die eigenen Bremsen nur für den Trend der Leitungsführung anzupassen, hat man hier einen Geberkolben für Bremsanlagen entwickelt, der komplett im Lenker verschwindet. In puncto Integration markiert dieses System das nächste Level und zu einem gewissen Grad auch einen technischen Vorsprung gegenüber der meist größeren Konkurrenz.
Alle Mountainbikes mit Magura Bremsanlage auf einen Blick
Die Bremse ist nicht nur ein sicherheitsrelevantes Bauteil, sondern manchmal auch ein hochemotionales Thema unter Bikern. Hier treffen individuelle Vorlieben auf pure Bremskraft. Für viele Biker wird die Frage, wie ihr Bike produziert wird, immer wichtiger. Es geht oft nicht mehr nur darum, wie das Bike fährt, sondern auch darum, wo seine Einzelteile hergestellt wurden.
Sowohl beim Thema Bremskraft, als auch bei der Frage nach regionaler Produktion kann Magura punkten. Und deshalb findest du unter diesem Link alle Bikes, die ab Werk mit einer Magura Bremsanlage ausgestattet sind. Und natürlich haben wir denselben Service auch für E-Mountainbikes.
Demnächst veröffentlichen wir noch ein zusätzliches Interview mit Fabian Auch, dem Urenkel von Firmengründer Gustav Magenwirth. Wer den Newsletter im Footer abonniert, wird informiert, sobald das Interview live geht.