Cannondale Moterra SL im Test
Volle EMTB Power, einen Akku mit 601 Wh und trotzdem unter 20 Kilo. Die Fakten zu Cannondales neuem Moterra SL klingen zu gut, um wahr zu sein. Wir haben den Neuling deshalb ins Auto gepackt und sind damit kurzerhand zum Gardasee gefahren. Wie viel Wahrheit steckt im vollmundigen Marketingversprechen?
Zwischen einer Pressemeldungen und der Realität liegt oft mehr als nur eine Reifenbreite Abweichung. Und genau das vermuteten wir auch, als im Januar 2024 eine Pressemeldung aus Amerika in unserem Postfach landete. Cannondale will ein Full Power EMTB mit normalem Akku, aber unter 20 Kilo auf die Laufräder gestellt haben.
Dabei muss man wissen, dass Quertreiben zur DNA von Cannondale gehört, wie das Streichholz zum Lagerfeuer. Federgabeln mit nur einem Arm, Dämpfer die man aufzieht und nicht komprimiert, oder aus dem vollen gefräste Bikes, die nie in Serie gingen. All das hat man bei Cannondale bereits in der Vergangenheit zur Realität gemacht. Konnte es wirklich sein, dass genau diese Amis das schaffen, woran alle anderen Hersteller scheitern?
Schließlich spielt ein Gewicht von unter 20 Kilo in einer Liga, die bisher nur kompromissbehafteten Light-EMTBs vorenthalten blieb. Zum Vergleich: das Santa Cruz Heckler SL haben wir mit Fazua’s Ride 60 Motor und 430 Wattstunden Akku mit 19,3 Kilo gewogen. Focus Jam² SL bringt ebenfalls mit Fazua Motor, aber zu einem deutlich günstigeren Preis 19,7 Kilo auf die Waage. Ist es tatsächlich möglich, dieses Gewicht mit Shimanos EP801 Motor und einem 601 Wh großen Akku zu realisieren?
Die Waage hält nichts von Marketing
Nur wenige Tage nach der Pressemeldung erreichte auch ein erstes Testbike unser Headquarter. Also: Karton auf, Bike raus und direkt ran an die Waage. Während das Bike langsam am Haken ausbaumelt, bleibt das Display tatsächlich unterhalb bei der magischen 20 Kilo Marke stehen. 19,9 Kilo wiegt das Bike in Größe L ohne Pedale. Schwerer als ein leichtes EMTB wie das Specialized Turbo Levo SL. Leichter als jedes andere Full Power Bike.
Ein Benchmark-Wert bei 160 mm Federweg an der Gabel, Shimanos EP 801 und 601er Akku. Dabei zieht Cannondale beispielsweise beim Laufradsatz noch nicht mal das letzte Register. Die DT Swiss Spline 1700 Alu-Laufräder sind hochwertig, zählen aber mit Sicherheit nicht zu den leichtesten am Markt.
Der Blick auf die direkte Konkurrenz stellt das exzellente Gewicht nochmal in den Vordergrund. Denn vergleichbare Full Power Bikes wie das Canyon Spectral ON CFR bringen bei gleichem Preis, aber 720er Akku, 21,7 Kilo, also fast zwei Kilo mehr auf die Waage.
Das stellt natürlich eine zentrale Frage in den Raum: Versteckt das neue Moterra SL irgendwo einen faulen Kompromiss, oder ist dieses Bike tatsächlich ein neuer Stern am EMTB-Himmel?
Fakten zum Cannondale Moterra SL
- Federweg: 160 / 150 mm
- Preis: 7.999 € bis 9.999 €
- Gewicht: 19,9 Kilo (SL 1 Version in Größe L ohne Pedale)
- Motor: Shimano EP801
- Akku: 601 Wh (Darfon - nicht entnehmbar)
- Reichweite: 1600 hm ohne Probleme, mehr mit angepasster Fahrweise
- Laufräder: ab Werk Mullet, Umbau auf 29 möglich
Wie kann Cannondale dieses Gewicht realisieren?
Bevor wir dem neuen Moterra SL im Gelände auf den Zahn fühlen, wollen wir uns ansehen, wie die Amerikaner ein derart geringes Gewicht überhaupt realisieren können. Möglich wird das niedrige Gewicht des EMTBs nämlich nicht durch eine völlig neue Innovation, sondern durch stringenten Leichtbau an allen Ecken:
Anstelle eines 4-gelenker Hinterbaus setzt Cannondale bei seinem neusten E-Bike auf einen Eingelenker mit Flex Pivot Hinterbau. Die besonders flach konstruierte Kettenstrebe erinnert an den Hinterbau des Scalpel Racefullys und ersetzt ein Horst-Link-Lager an dieser Stelle. Das spart Gewicht.
Außerdem sitzt der Akku fest im Rahmen. Der Rahmen ohne Schnellverschluss für den Akku und ohne große Öffnung zum Entnehmen kann etwas leichter konstruiert werden. Zum Laden des Akkus hat Cannondale aber eine wirklich praktikable und gut geschützte Ladeklappe hier im Tretlagerbereich. Übrigens einen Range Extender gibt es für dieses Konzept vorerst nicht.
So viel Gewicht spart der 601-Wh-Akku
Statt eines 750er Akkus fällt der Akku mit 601 Wh etwas kleiner aus als bei den Moterra Modellen mit Bosch Motor oder vielen Konkurrenten. Man kann ungefähr sagen, dass eine Wattstunde ca. 6 Gramm Akkugewicht mit sich bringt. Das ist ein ganz grober Richtwert. Mit der Rechnung kann man ganz grob über den Daumen peilen, dass Cannondale im Vergleich zu einem 750er Akku ca. 800 – 900 Gramm spart.
Man muss aber auch sagen: Es gibt viele Bikes auf dem Markt mit 630 Wh Akku, die das Gewicht welches das Moterra SL 1 vorgibt bei Weitem nicht knacken. Der Drafon Akku wird speziell für Cannondale gefertigt, ist nicht entnehmbar und bietet auch keine Option auf einen Range Extender. So gesehen fährt Cannondale beim Akku die Strategie “friss oder stirb”. Aber es ist letztendlich genau diese Stringenz, welche ein derart leichtes Bike möglich macht.
Reichweite: Wie weit kommt man mit den 601 Wattstunden im Akku?
Reichweiten sind ein Thema für sich. Denn je nachdem, wer auf dem Bike wie in die Pedale tritt, fällt das Ergebnis einer Reichweitenmessung anders aus. Fest steht aber, wir haben während unseres Tests am Gardasee fast 1700 hm auf den Akku gespult und hatten an der Akkuanzeige noch einen Strich verbleibend.
Die fahrfertigen 75 Kilo der Testperson begünstigten dieses Ergebnis mit Sicherheit. Dafür wurde das Bike hauptsächlich im Turbo Modus bewegt und zapfige 6 Grad Außentemperatur dürften das niedrige Gewicht des Testers wieder etwas wettmachen. Wir finden jedenfalls: Das ist eine Reichweite, mit der man nicht schon beim Aufsteigen Angst bekommen muss, dass der Akku gleich in die Knie geht.
Mit den Anpassungsmöglichkeiten, die der Shimano Motor hat, kann man sich auch einen Fuel-Save-Modus zurechtlegen, der mit Sicherheit noch den einen oder anderen Höhenmeter mehr aus dem Akku kitzelt.
Shimanos EP8 801 Motor – neue Stärken, alte Schwächen
Der Motor hat nicht nur mächtig Bums beim Anfahren, sondern schiebt wirklich kraftvoll bis zur Unterstützungsgrenze. Die Motorenbezeichnung EP 801 lässt nur geringfügige Änderungen im Vergleich zum EP8 vermuten, aber auf emtb-test.com haben wir schon mehrere Bikes mit diesem Motor getestet und dabei kristallisiert sich ein deutlicher Unterschied zum Vorgänger heraus.
Der EP801 hat nicht nur eine feinere Unterteilung der Unterstützungsstufen, sondern tatsächlich auch spürbar mehr Bums als sein Vorgänger. Der Motor spielt jetzt auch in der Praxis bei der Kraftentfaltung in einer Liga mit dem Bosch CX, bleibt aber dennoch ca. 300 Gramm leichter. Und damit passt er ins Konzept des Moterra SL wie die Faust aufs Auge.
Im Vergleich zum Bosch Motor verlangt das Shimano Aggregat etwas mehr Drehzahl an der Kurbel, um seine Power bereitzustellen. Oberhalb der 75er Cadenz-Grenze liefert der Japaner seine Power aber super zuverlässig.
Leider bleibt der Sound im Vergleich zum Vorgänger nahezu unverändert. Im Boost-Modus ist der Motor deutlich hörbar. Dass das auch anders geht, beweisen Hersteller wie Fazua oder vor allem TQ. Und auch das berühmte Getriebeklappern in der Abfahrt wurde dem neuen EP801 nicht abgewöhnt. Wenn es im Gelände zur Sache geht, macht sich der Motor hier und da durch ein “Klunk” bemerkbar.
Im Singletrail: fauler Kompromiss oder voller Fahrspaß?
Trails am Gardasee machen keine Gefangenen. Sie sind rau. Sie sind steil. Sie sind rutschig. Wer in einer Flut aus Kindskopf großen Steinblöcken sicher zu Tal kommen möchte, braucht neben Mut und Skills vor allem eins: Material, auf dem er sich verlassen kann.
Der 63 Grad flache Lenkwinkel gibt dem Bike und damit auch seinem Piloten tatsächlich massives Selbstvertrauen, wenn es steil oder schnell wird. Das kleine 27,5er-Hinterrad spart nicht nur Gewicht, sondern ist beim Handling auch ein guter Gegenspieler zum flachen Lenkwinkel. So bleibt das Bike noch handlich und vor allem sehr direkt in engen Trailpassagen. Da kommt selbst am ausgelutschten Skull Trail oberhalb von Torbole Fahrspaß auf.
Die Reifen fallen mit 2,4 Zoll hinten und einem 2,5 Zoll vorne für ein EMTB dieser Kategorie fast schon schmal aus. Mit der Reifenbreite kann man im Trail super präzise fahren. Breite 2,6er oder sogar 2,8er Reifen haben zwar mehr Komfort und Pannenschutz, aber bringen auch immer ein bisschen ein wabbeliges, undefiniertes Fahrverhalten mit sich. Hier punktet das Moterra SL mit einem messerscharfen Handling.
Die Fox-Gabel an der Front schluckt nicht nur Schläge souverän weg, sondern bietet auch genügend Spurtreue im rauen Untergrund der Lago-Trails. Mit 150 mm Federweg steht im Heck etwas weniger Federweg zur Verfügung als an der Front. Und wenn man das Bike in den Grenzbereich bringt, spürt man auch, dass der Hinterbau etwas weniger Reserven hat als die Gabel. Zu spüren ist das aber tatsächlich nur im absoluten Grenzbereich. Ansonsten schlägt sich das neue Moterra SL wirklich exzellent.
Um den Pannenschutz der Reifen zu erhöhen, verbaute Cannondale ab Werk ein Tire Insert bei unserem Testbike. Ab werk gibt es diesen Service nicht. Maguras MT7 Bremse ist ein Wurfanker, auf den jederzeit Verlass ist. Hier kommt Fahrspaß auf. Einen faulen Kompromiss sucht man vergebens.
Geometrie-Besonderheiten und 29er-Option
Übrigens: wer keinen Bock auf das Mullet Setup hat, kann in den Hinterbau auch ein 29er-Hinterrad stecken. Cannondale gibt das Bike dafür frei, liefert ab Werk aber immer nur das Mullet Setup. Gut zu wissen für große Fahrer, die ein kleines Hinterrad wohl eher ablehnen werden.
Auch gut: Typisch Cannondale wachsen die Kettenstreben mit jeder Größe mit. Das sorgt auch in den Größen L und XL für eine ausbalancierte Lastverteilung zwischen Vorder- und Hinterrad. Wenn die Kettenstreben immer gleich lang bleiben, dann steigt der Druck am Hinterrad vor allem für große Fahrer deutlich im Vergleich zu kleinen Fahrern. Die Folge: das Vorderrad hält die Spur deutlich schlechter. Was das angeht, muss man beim Moterra SL aber keine Bedenken haben.
Weitere Infos zu allen Cannondale Moterra-Modelle
Wir haben für unseren Test auf der Topversion, dem Moterra SL 1, gesessen. Wer die volle Dröhnung will, muss 10.000 € in der Tasche haben. Wer mit etwas weniger Luxus zurechtkommt, kann sich auch die Moterra SL 2-Version für 7999 € ansehen.
Alle Informationen, einschließlich Geometrie-Tabellen und technischer Daten, zu allen Modellen finden Ihr wie immer auf den jeweiligen Detailseiten:
Allen Cannondale Moterra-Modelle mit Bosch-Motor bleiben bestehen – Das neue Moterra SL löst keine bestehenden Moterra-Plattformen mit Bosch-Motor ab, sondern ist eine zusätzliche Option in Cannondale-Shops, die sich vor allem durch den Leichtbau und den Shimano-Motor von den bekannten Moterra-Modellen abgrenzt.
Fazit zum neuen Cannondale Moterra SL
Cannondale setzt mit dem Moterra SL neue Maßstäbe im Bereich der Full Power E-MTBs, indem konsequent an jeder Komponente Gewicht eingespart wird. Cannondale zeigt eindrucksvoll, dass die Wahl eines kraftvollen Motors kein Hindernis für ein leichtes E-MTB darstellt und stellt damit den Sinn von Light-E-MTBs in Frage – ein wahrer Paukenschlag in der Branche.