Focus VAM² SL im Test
Die Kombination aus 130 mm Federweg, 18,6 kg und einem Preis von unter 7000 € machen das neue Focus VAM² SL zum Exoten unter den EMTBs. Landet Focus damit einen Volltreffer, oder ist das neue VAM² SL auf verlorenem Posten?
Der deutsche Hersteller Focus setzt aktuell seine volle Entwicklungspower in das Thema E-MTB. Kaum ein anderer Hersteller hat eine so ausgeklügelte und breite Produktpalette wie die Firma aus Stuttgart. Mit dem neuen VAM² SL wird klar, welche übergeordnete Strategie Focus bei den E-MTBs verfolgt. Das Ziel: Volle Marktdurchdringung mit Bikes für jeden erdenklichen Einsatzzweck.
Bei der Neuentwicklung des Focus VAM² SL wurde alles dem Thema Leichtbau untergeordnet. Anders bekommt man ein E-MTB für 6899 € auch nicht auf das Gewicht von 18,6 Kilo. Denn damit ist das Bike tatsächlich nochmal 1,2 Kilo leichter als sein großer Bruder, das Focus Jam² SL mit 160 mm Federweg. Das Focus Vam² SL Topmodell bringt sogar nur 16,2 Kilo auf die Waage.
Key Facts zum neuen Focus VAM² SL
- Federweg: 130 mm vorne / 125 mm hinten
- Motor: Fazua Ride 60
- Akku: 430 Wh (nicht entnehmbar)
- Preise: 4 Modelle von 5.799 € bis 10.999 €
- Gewicht: von 16,2 kg bis 19,1 kg (Unser Testbike für 6.899 € wog 18,6 kg)
Der Focus VAM² SL Rahmen geht voll auf Leichtbau
Der Blick auf die Rahmendetails verrät, wo das Chassis im Vergleich zu anderen EMTBs Gewicht spart. Während das Jam² SL noch vier Gelenke am Hinterbau hatte, spart sich das VAM² SL den Lagerpunkt in der Kettenstrebe und lässt dafür, wie viele andere Hersteller auch, den Hinterbau etwas flexen, sobald der Dämpfer einfedert.
Außerdem trägt bereits das Modell für 6.899 € den Modellzusatz “9” im Namen. Dieses Kürzel steht bei Focus immer für die hochwertigste Carbonfaser. Zum Vergleich: Das Jam² SL zum selben Preis hat noch einen Rahmen mit etwas schwererem “8er” Carbon.
Und des Leichtbaus willen, verzichtet man beim neuen Focus VAM² SL auf einen entnehmbaren Akku. Das geschlossene Unterrohr lässt sich mit weniger Material konstruieren als eines mit großer Öffnung für den Akku. Dafür kann man den Akku nur in der Nähe einer Steckdose laden.
Tribut an den Leichtbau
- Eingelenker-Hinterbau mit Flexstreben statt Viergelenker
- der knapp bemessene Federweg an Front und Heck
- fest integrierter Akku
Das Focus VAM² SL hat weniger Federweg als die meisten E-MTBs
Kombiniert man die Fakten, wird klar: Die Focus VAM² SL Modelle sind gemessen an ihrem Preis sehr leicht, aber sie haben auch nur 130 mm Federweg an der Gabel. Die überwiegende Mehrheit am E-MTB Markt hat deutlich mehr Federweg.
Unser großer Marktüberblick verrät, dass weit über 80 % der E-MTBs über 5000 € 160 mm Federweg oder mehr haben. Dass sportliche E-MTBs deutlich mehr Federweg haben als unmotorisierte Mountainbikes hat zwei Gründe:
Muss ein Bike aus eigener Muskelkraft den Berg hochgetreten werden, zählt jedes Gramm. Weil jeder Millimeter Federweg durch dickere Gabeln, Dämpfer mit Ausgleichsbehälter oder eine abfahrtslastigere Ausstattung zusätzliches Gewicht bedeutet, überlegt man sich als Biker schon zwei Mal, ob man jetzt wirklich 160 mm Federweg braucht, oder ob man nicht auch mit 130 mm zurechtkommt.
Beim E-Bike, wo der Motor die eigene Körperleistung ohnehin verdoppelt, in der Spitze sogar vervielfacht, verliert das Gewicht, das man bergauf schleppen muss, an Bedeutung. Folglich muss man beim Federweg nicht mehr so knausern wie beim MTB ohne Motor.
Weil das EMTB an sich auch 4 – 10 Kilo schwerer ist als ein MTB ohne Motor, schadet es auch nicht, in der Abfahrt etwas mehr Reserven dabei zu haben. Denn durch das Gewicht steigt in der Abfahrt auch die Belastung auf das Fahrwerk und das restliche Material.
Warum die meisten EMTBs 160 mm Federweg an der Gabel haben, lässt sich erklären. Doch neben dem zusätzlichen Gewicht gibt es auch noch einen weiteren Faktor, der das Fahrverhalten von EMTBs mit viel Federweg deutlich prägt.
Mehr Federweg hat nicht nur Vorteile
Neben dem Gewicht steigt mit zusätzlichem Federweg vor allem auch mehr Sag (oder Negativfederweg) am Fahrwerk. Das macht das Handling auf dem Trail etwas träge. Wirklich nutzen tut man den üppigen Federweg nur, wenn man entweder richtig schnell unterwegs ist, das Gelände wahnsinnig steil ist oder man große Sprünge macht.
Auf zahmen Trails fährt man den Federweg zu einem gewissen Teil umsonst spazieren. Klar, der Motor schiebt ihn ohnehin bergauf, aber auch bergab oder auf flachen Trails entgeht einem dadurch etwas Fahrspaß.
Wenn man das Vorderrad hochreißen will, oder das Rad im Kurvenwechsel von links auf rechts schmeißt, muss man das Fahrwerk immer erst aus dem Negativfederweg rausziehen und das kostet bei federwegsschwangeren Bikes Kraft. Focus weiß diesen Aspekt beim VAM² SL gekonnt auszunutzen.
Das Focus VAM² SL ist der König in der Nische
Zusätzlicher Federweg gibt einem mehr Optionen bei der Strecken- oder Tempowahl, aber er klaut auch etwas Fahrspaß, wenn man diese Optionen gar nicht nutzt. Die meisten EMTBs am Markt wurden mit Blick auf den Federweg nach dem Motto „Haben ist besser als brauchen“ entwickelt. Das VAM² SL dagegen spielt seinen Trumpf genau dann aus, wenn man den Federweg eben nicht braucht.
Während unseres Tests wurde ganz klar: Wenn man das VAM² SL auf moderaten Trails fährt, macht dieses Bike mehr Spaß als ein Bike mit 160 Millimeter und mehr. Das Handling ist direkter. Richtungswechsel oder kleine Sprünge gelingen mit weniger Kraftaufwand. Auch ohne Motorunterstützung lässt es sich in kleinen Gegenanstiegen oder am Kurvenausgang gut beschleunigen.
Während man an dieser Stelle mit einem federwegsschwangeren Full-Power-EMTB oft darauf wartet, dass der Motor für die nächste Lastspitze wieder einsetzt, stellt sich hier schon der Fahrspaß und das Flowfeeling ein. Auf flowigen, nicht zu verblockten Strecken gibt es auch am Fahrwerk des VAM² SL nichts auszusetzen.
Die Kehrseite der Medaille: Wenn das Gelände richtig verblockt wird, verlässt man mit 130 mm an der Gabel die Komfortzone schnell. Auch wenn die Reifen und die Bremsen, durchaus gröbere Trails oder höheres Tempo vertragen würden, kommt recht bald eine Grundregel des Bikesports zum Tragen: Federweg ist im rauen Gelände eben doch nur mit Federweg zu ersetzen. Der Einsatzbereich des Focus VAM² SL bleibt deutlich spitzer als bei anderen EMTBs.
Fazua Ride 60 Motor - leicht, aber nicht kraftloser
Auch wenn Bosch mit dem SX mittlerweile einen Light EMTB Motor hat, geben die bayerischen Firmen TQ und Fazua den Ton in dieser Kategorie an. Während unserem Test wird schnell klar, dass der Motorenhersteller Fazua das Thema Light-EMTB etwas anders definiert als seine Mitbewerber TQ. Denn der Motor schiebt nicht nur unten raus deutlich kräftiger beim Anfahren, sondern hat auch oben raus spürbar mehr Leistung.
Wenn es im technischen oder steilen Uphill mal zur Sache geht, schlägt dieser Motor die Brücke zu den Fullpower Motoren und macht Fahrspaß trotz „Light Konzept“ möglich.
Was im Vergleich zu vielen Full Power Motoren ein echter Vorteil ist: Der Fazua Ride 60 Motor hat bergab kein Getriebeklappern. Auch im Anstieg ist das Motorengeräusch eigentlich nur in der höchsten Unterstützungsstufe, dem Rocket Modus, wahrnehmbar. Der Praxistest war ein Segen für unsere Ohren. Der TQs HPR 50 Motor, der beispielsweise in Scotts Lumen verbaut ist, ist nochmal leiser und punktet mit einer sanfteren Kraftentfaltung, hat aber auch spürbar weniger Bums.
Ein Manko des Fazua Systems ist der Ringschalter am Lenker. Der Wechsel der Unterstützungsstufe funktioniert damit zwar auch im Gelände, aber die Wertigkeit hat noch etwas Luft nach oben. Außerdem hat das System ab Werk kein Display, um Daten wie Geschwindigkeit oder Restreichweite anzuzeigen. Wer ohnehin einen GPS Tacho beim Biken nutzt, wird das aber sogar lieben. Denn diese Daten können dort ausgegeben werden. So verhindert man ein Doppeldisplay-Problem am Lenker.
Etwas schade ist, dass es den von Fazua seit Langem angekündigten Range Extender für das System noch nicht gibt. Im Laufe der Saison soll dieser aber auf dem Markt kommen und die fest integrierten 430 Wattstunden deutlich erweitern. Im Vergleich zu Bikes mit TQ-Motor hat man aber ohnehin 70 Wattstunden mehr an Bord.
Vorteile des Fazua-Motors
- Relativ stark für einen leichten E-MTB Motor
- nur 1,9 kg schwer
- kompakte Bauweise
- liefert seine Power ohne lautes Motorsurren
- Klappert bergab nicht.
- Boost-Modus für 12 Sek. extra Power
Nachteile des Fazua Ride 60 Systems
- hat kein Display
- hat aktuell noch keine Option auf einen Range-Extender
- nur in Kombination mit 430-Wh-Akku erhältlich
- Ringschalter am Lenker sind weniger wertig.
Konkurrenz aus dem eigenen Haus
Focus hat ein großes Angebot an EMTBs. Mit dem Thron gibt es sogar ein Full Power Modell mit exakt demselben Federweg an der Gabel. Sowohl beim Gewicht wie auch beim Motor grenzt sich das neue VAM² SL aber deutlich vom Thron ab. Von der ganzen Auslegung ist das neue VAM² SL deutlich mehr Richtung Performance getrimmt worden. Damit fährt es in den Reifenspuren des Jam² SL, das wir ebenfalls schon getestet haben.
Beide Bikes sind für sportliche Fahrer konzipiert. Mit den leichten Motoren und den kleinen Akkus sind sie zwar deutlich leichter als ihre Full Power Kollegen ohne den Modellzusatz SL. Aber sie verlangen am Berg auch nach etwas mehr Input vom Fahrer. Das Focus Jam² SL schielt deutlich mehr Richtung Abfahrt als das neue VAM² SL. Focus versucht für jeden Fahrertyp ein kompromissloses Bike zu bauen.
Konkurrenz im Light E-MTB-Segment
Unser Praxistest hat gezeigt, dass das Focus VAM² SL mit 130 mm Federweg zwar einen spitzen Einsatzbereich hat, aber dennoch für viele Biker die richtige Wahl ist. Aktuell gibt es auf dem Markt nur sehr wenig Konkurrenz im Umfeld des neuen VAM² SL. Das Scott Lumen beispielsweise spielt in derselben Federwegsklasse, hat aber einen kleineren Akku, mit dem TQ Motor weniger Power und ist etwas teurer. Haibikes Lyke oder das Orbea Rise haben 140 mm an der Gabel und wurden weniger konsequent auf Leichtbau getrimmt.
Fazit zum Focus VAM² SL
Das Focus VAM² SL ist sicher nicht das Schweizer Taschenmesser unter den E-MTBs. Denn mit seinem geringen Federweg hat es einen ganz klar abgegrenzten Einsatzbereich. Wer nur im leichten Gelände unterwegs ist, bekommt mit dem neuen Focus VAM² SL ein Bike, das zielgerichtet auf dieses Gelände ausgelegt wurde. Der Fazua-Motor setzt das Light E-MTB-Thema mit kraftvoller Unterstützung sexy um. Der Dreiklang aus Preis, Gewicht und Ausstattung machen das neue VAM² SL zu einer attraktiven Option für viele Tourenfahrer. Mit 18,6 Kilo bei einem Preis von 6.899 € ist die 9.8er-Version des VAM² SL ein fairer Deal, der im leichten Gelände völlig überzeugt.
Alle aktuellen Focus VAM² SL Modelle auf einen Blick
Das Bike gibt es in vier Ausstattungsvarianten ab 6.199 Euro. Alle kommen mit Vollcarbonrahmen daher. Das Top-Modell kostet über 10.000 Euro und wiegt 16,2 Kilo. Damit deckt Focus vom preiswerten Einstieg in die Light-EMTB-Welt bis zum absoluten Luxusprodukt alles ab.
Im Gegensatz zu allen anderen Medien erlaubt es unser innovatives und absolut objektives Testsystem euch, Informationen zur kompletten Modellfamilie zu liefern. Hier könnt ihr euch zum richtigen Focus Jam² SL je nach eurem Budget informieren. Eine generelle Kaufberatung zum Thema Light EMTB findet ihr hier.