Bulls Sonic EN-R im Test
E-Mountainbikes über 7000 € haben eine Zielgruppe, aber sie ist nicht riesig. Und sie wird nochmals kleiner, wenn man das Bike speziell aufs EMTB Racing zuspitzt. Ist das neue Bulls EN-R ein absolutes Nischen-Bike, oder macht es auch Nicht-Racern Spaß?




Bulls mausert sich zum Überflieger
Zum zweiten Mal binnen eines Jahres sorgt ein Bulls für einen Wow-Effekt in unserer Redaktion. Im Frühjahr überraschte uns das Sonic Evo AM SL mit seinem lebendigen Handling, der messerscharfen Lenkpräzision und seinem geringen Gewicht. Jetzt legt Bulls nach – und wieder geht ein „Wow“ durch unsere Redaktion. Das neue Bulls Sonic EN-R ist ein Full-Power-E-Bike, das für E-Enduro-Rennen gemacht ist. Der Name EN-R für Enduro-Racing ist also Programm. Und wie sein kleiner Bruder ist auch das Sonic EN-R beim Gewicht gut dabei – vor allem in seiner Federwegs- und noch mehr in seiner Preisklasse.


Nur Zahlen sprechen die Wahrheit
22,65 kg zeigt die Waage bei Rahmengröße L an. Damit ist das Bulls 1 kg schwerer als das kürzlich vorgestellte Santa Cruz Vala – mit gleichem Motor, gleicher Akkukapazität und auch gleicher Laufradgröße. Allerdings übertrumpft das Bulls das Santa mit 10 mm mehr Federweg und satten 5.000 Euro Preisunterschied. Und der wichtigste Unterschied in diesem Detail: Im Vergleich zum Santa Cruz ist der Akku sogar entnehmbar! Das Gewicht stimmt also.
Der Preis ergibt sich aus der Spar-Ausstattung, mit der Bulls das Sonic EN-R 2 ins Rennen schickt. Während das Topmodell des EN-R 1 mit edlem RockShox Ultimate Fahrwerk auftrumpft, setzt das mittlere EN-R 2 auf Preis-Leistung, in Form einer RockShox ZEB und einem SuperDeluxe Dämpfer – beide auf Select Niveau. Gebremst wird mit TRP C2.3 RX Bremsen, wovon die Vorderradbremse auf eine fette 220 mm Scheibe beißt. Für Kontakt zum Boden sorgen Tacky Chan und Big Betty Reifen mit Ultra Soft Compound und Super Trail Karkasse. Schwalbes neue Wunderkarkasse namens Radial ist am Sonic leider nicht zu finden.





Kopf-an-Kopf-Rennen im Mittelklassesegment
Für 8.000 Euro bekommt man aufgrund der fortlaufenden Marktkonsolidierung mittlerweile viele solide ausgestattete E-Enduros. Das Mondraker Crafty beispielsweise liegt in Sachen Ausstattung auf einem ähnlichen Niveau, kostet 500 Euro mehr und sticht das Bulls mit bissigeren Sram Maven Bremsen und größerem Akku aus. Dafür ist es aber auch 1,5 Kilo schwerer und 10 mm Federweg weniger.
Wer sich 170 mm Federweg in den Kopf gesetzt hat und wem Gewicht nicht der wichtigste Aspekt bei der Kaufentscheidung ist, der findet mit dem neuen Cube Stereo Hybrid ONE77 einen ernst zu nehmenden Konkurrenten für das Bulls. Denn Cube setzt auf einen großen 800-Wh-Akku und schickt sein neues E-Enduro mit einem Fox Factory Kashima Fahrwerk und Shimano XT 4-Kolben Bremsanlage für nur 7.199 Euro auf die Strecke. So eine hochwertige Ausstattung zu einem Kampfpreis erkauft man sich mit satten 24,2 kg.
Im Preiskampf schlägt sich das Bulls wacker, kann sich aber nicht ohne weiteres von der Konkurrenz absetzen. Umso mehr muss es beweisen, was es auf dem Trail zu bieten hat.

Kletterziege oder Abfahrtskünstler? Geht auch beides?
Der steile Sitzwinkel des Bulls positioniert den Fahrer trotz 25-mm-Offset an der Sattelstütze recht weit vorne über dem Bike. Dadurch bekommt das Vorderrad viel Druck ab und klettert auch steile Passagen entspannt nach oben – sogar in der tiefen Geometrie-Einstellung. Rutscht man den Dämpferschlitten der Geometrieverstellung nach hinten, hebt sich das Tretlager an und Lenk- und Sitzwinkel richten sich um 1° auf. Da die Verschraubung auf der Oberseite des Oberrohrs liegt und das Tool in Griffweite auf der Unterseite des Oberrohrs hängt, braucht man für den Umbau noch nicht einmal vom Bike absteigen.
Der Unterschied zur tiefen Position ist im Uphill nicht extrem, aber dennoch spürbar. Da der Umbau mit nur zwei Schrauben und dem mitgelieferten Tool binnen weniger als einer Minute von der Hand geht, lohnt sich der Umbau, wenn technisch anspruchsvolle Uphills vor einem liegen.
Der Hinterbau arbeitet erstaunlich aktiv und kann trotz hoher Last auf dem Antriebsstrang bestens Bodenkontakt halten. So bringt der 2,6“ breite Hinterradreifen die Kraft des Bosch CX Motors souverän auf die Strecke. Selbst in verblockten Uphill-Passagen fährt sich das Bulls erstaunlich handlich, womit sich das Bike agil durch enge Kehren, über Stufen und losem Boden Richtung Gipfel manövrieren lässt. Die Kletterqualitäten des Bulls können überzeugen.




Motor und Akku – ein No-Brainer
Das niedrige Gewicht erkauft sich Bulls mit Boschs neuem 600-Wh-Intube-Akku. Wer Sorgen hat, dass der kompakte Akku ausdauernden Touren in den Alpen im Weg steht, der kann aufatmen. Wer bereit ist, in den Eco-Modus zu schalten, der schafft die 2.000 Hm locker. Das zeigte meine Tour zur Malga Saval am Gardasee, die ich für eine SUPERTRAILS-Trailvorstellung mit dem Bulls Sonic abstrampelte.
Der neue Bosch CX Motor leistet sich auch im Bulls keine Schwächen – wobei dem System eine schwankende Geräuschkulisse attestiert werden muss. Ohne nachvollziehbaren Grund schwankt die Lautstärke des Motors während der Tour auffällig stark, je nach Leistung, Trittfrequenz, aber auch Temperatur.
Nach wie vor ist der Motor deutlich hörbar – aber leiser als der Vorgänger. Bei vollem Schub an steilen oder technischen Anstiegen brummt der Motor am lautesten.



Mit Spieltrieb bergab
Das Bulls fühlt sich lebendig an und auf dem Trail erstaunlich handlich. Vor allem schnelle Richtungswechsel kann das Bike. Wie ein Flipperball kann man sich von Kurve zu Kurve feuern und mit jedem Richtungswechsel Schwung aufnehmen. Ein Charakterzug, den man von einem expliziten Racebike so gar nicht erwartet hätte. Aber auch einer, den man auf dem Trail wirklich genießen kann.
Allerdings sollte der Untergrund nicht extrem rau werden. Vor allem der Hinterbau leitet dann nämlich den ein oder anderen Schlag an den Fahrer weiter. Das könnte auch an der Progression des Hinterbaus liegen, der dem Bike einerseits Popp verleiht, aber auch dafür sorgt, dass der Hinterbau bei schnell aufeinander folgenden Schlägen, die tief in den Federweg hineinreichen, dem Schlag-Stakkato nicht mehr so gut folgen kann. Es sei angemerkt, dass das Meckern auf ziemlich hohem Niveau ist.

Auch die ZEB Select Federgabel zeigt einen ähnlichen Charakter wie der Hinterbau. Die Gabel wirkt bei schnellen Schlagabfolgen etwas überfordert und kann dem Untergrund nicht so gut folgen wie die teuren Ultimate Modelle. Zum Vorschein kommt dieser Charakter aber erst bei V-Max in extremen Situationen. Bleibt man im Komfortbereich des Bikes, vermittelt die Gabel mit ihren dicken 38 mm Standrohren vor allem ein präzises Lenkverhalten.
Alles in allem versprüht das Sonic EN-R so ein sicheres Fahrgefühl, dass man vor allem im tiefen Geometrie-Setting genießen kann. Das Bike läuft ruhig und bleibt dabei lebendig, dadurch lässt es sich gut und vorhersehbar steuern.


Wer schnell sein will, muss auch bremsen können
Das Sonic EN-R ist ein souveräner Abfahrer. Doch wer nach Geschwindigkeit lechzt, der muss auch die Verzögerung im Kreuz haben. Für Verzögerung sorgen TRPs C2.3 RX Bremsen. TRP ist die Premiummarke des Komponenten-Herstellers Tektro, einem größeren taiwanesischen Teilelieferanten der Fahrradbranche. Mit dem Top-Modell „EVO“ kann sich TRP seit geraumer Zeit aber auch gegen etablierte Bremssysteme der Oberliga wie SRAMs Code Ultimate oder Shimano XT 4-Kolben behaupten. Unsere Erwartungshaltung an das neue Einstiegsmodell C2.3 RX war dementsprechend hoch.
Während das TRP „EVO“-Modell vor allem durch seine definierte Modulation heraussticht, wirkte die C2.3 RX im Vergleich etwas undefiniert. Vor allem ist viel Fingerkraft nötig, um der Bremse auf steilen Trails die nötige Bremskraft zu entlocken. Die Ergonomie des Bremshebels ist maßgeblich für diesen Eindruck verantwortlich. Denn der Bremssattel und die dicken Bremsscheiben sind baugleich mit den Bremsmodellen, die uns bereits im Conway Ryvon begeistern konnten.


Details können den Unterschied machen.
Die Aufnahme des Monkey-Link 2.0 Adapters, der unter dem Vorbau sitzt und via Magnetkontakten eine Lampe aufnehmen und sie direkt vom Hauptakku aus mit Energie versorgen kann, ist schick gelöst. Der Monkey-Link Adapter wird auf der Unterseite des Vorbaus verschraubt und fällt somit kaum auf. Was im Alltag praktisch und am Bike optisch super gelöst ist, hat sich bei uns immer wieder auf dem Trail gelöst. Schraubensicherung könnte hier Abhilfe schaffen.


Im Spannungsfeld der Widersprüche
Es ist schon verrückt, denn Bulls hat das Sonic EN-R ganz offensichtlich bis in die Tiefe durchdacht. Viele individuelle Details und Lösungen zeigen, dass der Hersteller hohe Kosten auf sich genommen hat, um ein rundum zu Ende gedachtes Produkt hinzustellen. Da wäre etwa der üppige Kettenstrebenschutz, der die Kettenstrebe großzügig abdeckt und der Haltbarkeit zuliebe sogar verschraubt ist. Zur Erinnerung: das 13.000 Euro teure Pivot Shuttle LT kommt mit geklebten Rahmenprotektoren, wovon sich einige nach der Wäsche mit dem Dampfstrahler vom Rahmen lösten. Respekt an Bulls, dass man hier auf eine konsequente Lösung setzt – die keine Probleme bereitet.
Selbst bei der Ladebuchse setzt man auf ein aufwendiges Spritzgussteil mit Deckel und nicht auf die sonst übliche Gummilippe, wie sie Bosch regulär für seine Ladeports anbietet. Doch an diesem Punkt sind die Bulls-Entwickler leider nicht die Extrameile gegangen: der Kunststoffdeckel des Ladeports wird zwar von einer Feder zurückgestellt, hat aber keinen Verschluss, wodurch er klappert. Eine Dichtlippe hat er auch nicht. Schade.



Edel abgerundet
Die voll integrierte Eightpins Dropper-Post hat zwar keinen Neuheitswert mehr, aber immer noch Seltenheitswert. Die Stütze kommt bei gerade einmal fünf Herstellern zum Einsatz, darunter Liteville, Ghost und eben auch Bulls. Da das Tauchrohr der Stütze über Gleitbuchsen im Rahmen geführt wird, braucht die Stütze keine Sattelklemme. Das Einstellen der Sattelhöhe erfolgt über einen Hebel am Stützenkopf – noch nie war das Einstellen der Sattelhöhe so einfach. Und da die Stütze im Rahmen geführt wird, kann man sich sicher sein, dass der Sattel immer in perfekter Flucht zum Rahmen ausgerichtet ist.
Als die Stütze neu auf den Markt kam, stach sie vor allem durch ihren enormen Verstellweg heraus. In diesem Punkt hat die Eightpins heutzutage kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Bei einer Schrittlänge von 860 mm und einer Sattelhöhe von 775 mm ergibt sich ein Verstellweg 185 mm. Das ist gut – geht heutzutage aber schon besser. Auf der Habenseite der Eightpins steht weiterhin die Haltbarkeit, denn aufgrund der direkten Führung im Rahmen setzt die Stütze auf ein 33 mm Tauchrohr und entsprechend große Gleitbuchsen.

Alle BULLS Sonic EN-R Modelle auf einen Blick
Das Bulls Sonic EN-R kommt 2025 in drei Ausführungen neu auf dem Markt. Das preiswerteste Modell kostet 5.999 €, hat aber bereits den gleichen Rahmen, Motor und Akku wie das Topmodell für 9.999 €. Vor allem beim Fahrwerk muss man aber Abstriche hinnehmen. Unser Testbike bestreitet mit einem UVP von 7.999 € den Mittelweg zwischen Einstieg und High-End. Damit dürfte es wohl sehr viele Kunden ansprechen. Mit einem Klick auf das Pfeilsymbol könnt ihr alle EMTB Modelle aus unserer großen Marktübersicht miteinander vergleichen.

Fazit zum Bulls Sonic EN-R
Das Bulls überrascht mit zahlreichen praktischen Details, die man an vielen Premium-Bikes vergebens sucht. Dennoch ist das Bulls ein sehr interessantes Bike, das mit einer starken Leistung und einem vertretbaren Preis überzeugen kann. Bedenkt man, wo Bulls herkommt, ist es umso beachtlicher, in welcher Liga die ZEG-Hausmarke mittlerweile spielt. Betrachtet man das Bulls als Gesamtpaket, wird es schwer, teurere Marken noch mit handfesten Mehrwerten zu verargumentieren.