Scott Lumen im Test
Das Scott Lumen eRide ist so etwas wie die Speerspitze des aktuellen Light-EMTB-Trends. Nur 17 Kilo bringt das leichte Trailbike auf die Waage – eine Ode an das Gewicht. Doch kann es mit nur 130 mm Federweg und bedingungsloser Integration auch auf dem Trail überzeugen?
Die Preise für EMTBs sind heftig. Scott verlangt für sein Lumen eRide 900 9.999 Euro. Und das ist eine Preisklasse, an die man sich bei E-Mountainbikes leider schon gewöhnt hat. Die Ausstattung kann sich sehen lassen, protziger Luxus ist sie aber nicht: Srams elektronische GX AXS-Schaltung, ein leichter Aluminium-Laufradsatz der Hausmarke Syncros und eine standfeste Shimano XT Vierkolbenbremse legen ein solides Fundament.
Eine Besonderheit ist das Fox-Fahrwerk mit Scotts eigener Twin-Loc-Technologie. Damit lassen sich Federgabel und Dämpfer per Lenkerfernbedienung gleichzeitig in drei Modi schalten: Descend, Traction Control und Lockout. Ein Feature, das keine andere Marke wie Scott so konsequent umsetzt.
Die Ausstattung ist hochwertig, dennoch gibt die Gabel Anlass zur Kritik. Denn für 10.000 Euro gibt es nicht einmal Fox’ Premium-Linie „Factory Kashima“, sondern nur die eine Klasse günstigere „Performance Elite“.
- Preis: 9.999 Euro
- Rahmenmaterial: Carbon
- Laufräder: 29"
- Federweg: 130 mm vorne, 130 mm hinten
- Akku: 360 Wh (nicht herausnehmbar)
- Motor: TQ HRP50
- Garantie: 5 Jahre auf Rahmen & Hinterbau
- Gewicht: 16,99 kg in Gr. M
- Max. zulässiges Gesamtgewicht: 128 kg
Verwechslungsgefahr: Ist das noch ein Muskle-Bike oder schon ein E-Bike?
16,99 kg wiegt unser Testbike in Größe M. Für ein 130-mm-Mountainbike ohne Motor wären das 4 kg zu viel. Für ein E-MTB ist das aber ein Spitzenwert. Mit seinem geringen Gewicht stößt das Lumen fast schon in das Segment der Muskelbikes vor. Auch optisch ist es ganz nah dran.
Der kompakte Mittelmotor versteckt sich fast unsichtbar im Tretlagerbereich. Schon das Datenblatt verrät, dass er mit 50 Nm Drehmoment nur sanft anschiebt. Dafür ist er leicht und leise. Nur 1,5 kg wiegt der Motor, der von TQ aus Bayern kommt. Zum Vergleich: Der Turbo SL 1.2 von Specialized hat das gleiche Drehmoment, wiegt aber 430 Gramm mehr. Der Bosch CX-Motor liefert satte 85 Nm Drehmoment, wiegt aber mit knapp 3 Kilo fast das Doppelte. Doch der TQ HPR 50 besticht nicht nur durch das herausragende Verhältnis von Gewicht zu Leistung, sondern auch durch seine kompakte Bauweise.
Mit schlanken 8 cm Durchmesser ist der sichtbare Teil des Motors so klein wie eine Kaffeetasse. Ein 32er Kettenblatt ist größer. Schaut man sich das Lumen auf der Antriebsseite an, wirkt es wie ein Muskelbike auf Steroiden. Der Motor – fast unsichtbar. Wer undercover E-Biken will, wird kaum ein besser getarntes E-Bike finden als das Lumen E-Ride.
Integration pur: Aber ist so ein innovatives Design noch nutzerfreundlich?
Ein Blickfang ist das Lumen allemal. Auch weil man sich fragt, ob da nicht etwas fehlt? Ein Fully ohne Dämpfer? Gut geschützt vor Schmutz und Wasser versteckt sich der Dämpfer unsichtbar im Sitzrohr. Dort sitzt er zwischen Motor und Sattelstütze und wird von oben über einen ebenfalls integrierten Umlenkhebel angesteuert.
Was aufregend anders und aufgeräumt aussieht, bedeutet einen Mehraufwand beim Einstellen des Dämpfers. Eine Serviceklappe vor dem Motor ermöglicht den Zugang zum Dämpfer. Um gut an den Dämpfer zu kommen, stellt man das Bike am besten auf den Kopf. Zum Einstellen des Luftdrucks liefert Scott eine Ventilverlängerung mit. Hat man die Verlängerung nicht zur Hand, braucht man etwas Fingerspitzengefühl. Fingerfertigkeit ist auch beim Einstellen der Zugstufe gefragt, denn der Dämpfer versteckt sich hinter Kabelsalat. Ist das Setup erst einmal erledigt, kann man diese Kritikpunkte getrost vergessen.
Für Tourenbiker mit einem Faible für Ganztagestouren ist die integrierte Rahmenkonstruktion ein großer Vorteil. Im Rahmendreieck ist Platz für zwei Trinkflaschen – eine Seltenheit bei E-Bikes. Wen die Reichweitenangst plagt, der kann den Flaschenhalter am Unterrohr gegen einen Range Extender tauschen. 160 Wh bietet der trinkflaschengroße Zusatzakku. Damit erhöht sich die Reichweite um fast 40 Prozent.
Motor: Wie viel E-Bike steckt im Lumen eRide?
Das Motorsystem überzeugt durch ein unvergleichlich harmonisches Fahrgefühl. Mit einem kaum wahrnehmbaren Sound schiebt der Motor gutmütig an. Sein Charakter erinnert an ein Gefühl aus der Kindheit, wenn Papa die Hand auf den Rücken legte, um bergauf zu schieben. So fühlt sich die sanfte Unterstützung des HRP50 an.
Das Ansprechverhalten des Motors ist hervorragend, dennoch zieht er beim Anfahren nicht abrupt an, sondern moduliert die Kraft sehr kultiviert. Das Ein- und Auskuppeln des Motors ist nicht zu spüren, dadurch fährt sich das Lumen eRide sehr geschmeidig und fast so natürlich wie ein Muskel-Bike. Motorgeräusche sind – wenn überhaupt – kaum zu hören. Sie gehen in allen anderen Fahrgeräuschen unter.
Die Bedienung des Motors ist intuitiv. Das Display im Oberrohr ist gut ablesbar und liefert die wichtigsten Informationen. Die Lenkerfernbedienung ist kompakt und fällt im Cockpit nicht auf.
Für einen genussvollen Uphill-Flow auf technischen Trails fehlt es dem Motor allerdings etwas an Durchzugskraft. Dafür geht es auf allen anderen Strecken zügig bergauf. Wer kräftig in die Pedale tritt, erreicht den Gipfel in halber Zeit eines Muskelbikes.
Fahrwerk: War Scott beim Federweg zu sparsam?
Viele E-Mountainbike-Fullies bieten heute Federwege von 150 mm und mehr. Damit sind die meisten Modelle im All-Mountain-Segment angesiedelt. Trailbikes wie das Lumen eRide haben weniger Federweg. 130 mm sind die Regel – so auch beim Scott. Durch den moderaten Federweg fahren sich Trailbikes sehr lebendig – der Input des Fahrers verpufft nicht in der Federung.
E-Bikes hingegen sind systembedingt schwer und damit weniger wendig – daran ändert auch ein kurzer Federweg nichts. Viele Hersteller nutzen daher lieber gleich das Plus an Federweg und rüsten ihre E-MTBs mit dicken Gabeln und Dämpfern aus. Scott verfolgt ein eigenes Konzept und setzt trotzdem auf wenig Federweg. Obwohl das Bike so schwer ist wie ein Wettkampf-Downhiller aus dem Weltcup, soll das Lumen auf sanften Trails flink wie ein Wiesel sein. Geht das Konzept auf?
Die agile Geometrie und der leichte Laufradsatz hauchen dem Lumen Leben ein. Die 17 kg Gewicht sind schnell vergessen. Vor allem im Vergleich zu anderen E-Bikes marschiert das Lumen spritzig nach vorne, was nicht nur am Motor, sondern auch am steifen Rahmen liegt. Die Kraftübertragung von den Pedalen auf das Hinterrad ist hervorragend. Das Fahrwerk arbeitet definiert und gibt dem Fahrer eine klare Rückmeldung vom Untergrund – so lässt sich das Bike schwungvoll und präzise durchs Gelände steuern.
Will man kraftvoll in den Wiegetritt gehen oder steile Rampen erklimmen, hilft das Twin-Loc-Federungssystem, dass die Beinkraft nicht im Fahrwerk verpufft. Der mittlere Modus heißt „Traction Control“ und bietet schon beim Treten spürbaren Gegenhalt. Im Gelände hat man trotz straffer Federung viel Grip am Hinterrad. Im „Lockout“-Modus ist das Fahrwerk ruhig wie ein Brett – ideal, um auf Asphalt ohne Kraftverlust in die Pedale zu treten.
Wie sportlich ist das Lumen eRide?
Das Lumen liebt enge Kurven und schnelle Richtungswechsel. Bergab vergisst man schnell, dass man auf einem E-Bike sitzt. Man merkt, dass sich der Großteil der Masse sehr zentral um den Tretlagerbereich befindet. Die Teile, die am weitesten von der Mitte entfernt sind, also Laufräder, Reifen und Federgabel, sind dagegen leicht. Diese clevere Gewichtsverteilung macht das Lumen eRide drehfreudig.
Sobald ab 25 km/h die Motorunterstützung wegfällt, lässt sich der TQ-Motor ohne spürbaren Widerstand treten. Sprintet man mit dem Lumen über wellige Trails, spürt man keine Einschränkungen durch den Motor. Auch beim Treten in der Ebene ist das ein großer Vorteil. Denn dank der sehr guten Rolleigenschaften der leichten Schwalbe-Reifen kommt man auch auf ebener Strecke schnell über die Unterstützungsgrenze.
Das Konzept aus kurzem Federweg, leichten Komponenten und ausgewogener Geometrie geht auf. Das Lumen ist ideal für sportliche Trail- und Tourenbiker, die kräftig in die Pedale treten können, aber mit etwas Unterstützung schneller ans Ziel kommen wollen. Aber was ist, wenn es auf ruppigen Trails mal härter zur Sache geht?
Downhill: Wo kommt das Lumen eRide an seine Grenzen?
Je härter die Trails, desto schneller wird der geringe Federweg zum limitierenden Faktor. Obwohl die Geometrie durch den langen Hinterbau und den moderaten Lenkwinkel eine erstaunliche Laufruhe vermittelt, wird man bei hohen Geschwindigkeiten in Steinfieldern ordentlich durchgeschüttelt. Federweg kann eben nur durch Federweg ersetzt werden. Spaß macht das Lumen dennoch. Seine Stärken spielt es auf flüssigen Trails aus. In verblocktem Gelände stößt das flinke Scott an seine Grenzen.
Auch die Reifen bieten nicht die nötige Pannensicherheit, um mit Vollgas über Stock und Stein zu fahren. Wer viel auf rauen Bergpfaden unterwegs ist, sollte auf Reifen mit stärkerer Karkasse umrüsten.
Auffällig war auch die Geräuschkulisse unseres Testbikes. Während vom Motor kaum etwas zu hören war, machte der Rahmen mit einigen Knarzgeräuschen auf sich aufmerksam. Woher die Geräusche kamen, war leider nicht herauszufinden.
Was hat uns nicht gefallen?
Die Ergonomie des einteiligen Cockpits ist gewöhnungsbedürftig. Man hat das Gefühl, dass der Lenker die Arme an den Oberkörper drückt. Das schränkt einen aktiven Fahrstil etwas ein. In der Ebene und bergauf ist die Körperhaltung hingegen ziemlich windschnittig.
Fraglich ist auch die Langzeit-Performance der Bowdenzüge. Die direkte Kabelführung an der Lenkerunterseite zum Vorbau und durch den Steuersatz in den Rahmen führt zu einer starken Biegung der Kabel. Die kleinen Radien können zu einer hohen Reibung zwischen Bowdenzug und Kabelhülle führen. Dies kann auf Dauer zu Verschleiß und Präzisionsverlust der Lenkerfernbedienung für Dämpfer und Teleskopstütze führen.
Das Für und Wider
Pro
- sehr agiles E-Bike
- super Touren-Bike
- großer Fahrspaß auf flowigen Trails
- sehr harmonische Motorunterstützung
- sehr sportliches E-Bike
Contra
- leiser Motor, aber störendes Knarzen am Bike
- Ergonomie des OnePiece-Cockpits gewöhnungsbedürftig
- Kabelbiegung im Steuerkopfbereich
- sportlicher Preis (und keine Factory-Kashima-Federgabel)
Fazit zum Scott Lumen eRide
Mit dem Lumen eRide gelingt Scott der Brückenschlag zwischen Muskel-Bike und EMTB. Das kurzhubige Trailbike begeistert mit agilem Handling und viel Fahrspaß auf flowigen Trails.
Auf langen Touren bietet der harmonische TQ-Motor die richtige Unterstützung, um zügig voranzukommen, ohne abends völlig erschöpft ins Bett zu fallen. Wer Wert auf eine große Reichweite legt, ist auf den Range Extender angewiesen.
Denn mit 360 Wattstunden fällt der integrierte Akku eher klein aus. Für ruppige Trails gibt es definitiv bessere Bikes im Portfolio von Scott. Das geringe Gewicht mündet in ein intuitives Handling und macht alle glücklich, die nicht vorhaben, auf brutale Trails abzubiegen.
Alle Scott Lumen Modelle im Überblick
Wir haben für unseren Test auf der ERide 900 Version des Lumens gesessen. Wer die volle Dröhnung will, muss übwer 10.000 € in der Tasche haben. Wer mit etwas weniger Luxus zurechtkommt, kann sich auch die günstigeren Modelle ansehen.
Alle Informationen, einschließlich Geometrie-Tabellen und technischer Daten, zu allen Modellen finden Ihr wie immer auf den jeweiligen Detailseiten: