Specialized Turbo Levo 4 im Test
Neuer Motor, dickerer Akku und eine Apple Watch im Oberrohr. Specialized geht beim neuen Levo der 4. Generation all-in. Wird der Mut mit den Fahreigenschaften auf dem Trail belohnt?




Was kann der neue Specialized 3.1 Motor?
Getestet haben wir das Specialized Turbo Levo S-Works. Mit dem neuen S-Works Motor grenzt Specialized sein Top-Level-Lineup neuerdings noch stärker vom Standardportfolio ab. Der Motor schiebt mit 111 Nm Drehmoment an und kann dies dank 720 Watt Spitzenleistung auch bis in hohe Geschwindigkeitsbereiche durchziehen.
Ist ein so hohes Drehmoment nicht zu viel des Guten? Nein – denn Specialized gelingt das Meisterstück, den spürbar überdurchschnittlichen Schub sicher auf die Strecke zu bringen. Auch wenn seitens Specialized niemand das Wort Traktionskontrolle in den Mund nimmt, so fühlt sich die Traktion dennoch äußerst kontrolliert an. Beachtlich, denn die Kraft des Motors steht vom Anfahren aus direkt an und so schiebt der Motor aus dem Stand raus mit Nachdruck nach vorne – ohne Traktionsverluste am Hinterrad.
Steile Rampen lassen das Turbo Levo unbeeindruckt. Das Bike trägt seinen Fahrer mit einer stoischen Gelassenheit den Berg hinauf. Diesen Charakter hatte auch der alte Specialized 2.2 Motor in unserer Testserie letzten Winter schon bewiesen. Je nach Geschmack lässt sich die Dynamik und das Nachschieben des Motors über die Specialized App einstellen. So kann der Motor tatsächlich jeden Fahrstil bedienen: von gemütlichem Uphill-Cruisen bis hin zum wilden Gipfelsturm über verblockte Trail-Uphills.





Keine Abofallen bei Features und Updates
Specialized verspricht seinen Kunden, dass digitale Produkterweiterungen künftig kostenfrei bleiben. Ein starkes Versprechen in Zeiten wie diesen. Und ein starkes Argument gegenüber Bosch, wo immer mehr Produkt-Features wie z.B. das GPS Tool nur noch über Abo-Modelle erhältlich sind.
Apropos Kundenversprechen: Nachdem Specialized dem Erstbesitzer eine lebenslange Garantie auf den Rahmen versichert, gibt es mit der Einführung des neuen Turbo Levo nun auch eine lebenslange Garantie auf alle Hinterbaulager. Übrigens: Auch die Carbon-Laufräder von Specialized’s Tochtermarke Roval sind mit lebenslanger Garantie abgesichert.


König Kunde – mach dir die Welt, wie sie dir gefällt
Specialized verschreibt sich mit dem neuen Turbo Levo vollends den vielschichtigen Bedürfnissen seiner vielfältigen Kunden. Denn das neue Levo bietet derart viele Individualisierungsmöglichkeiten, dass kaum ein Wunsch unbefriedigt bleiben dürfte. Ok – das gilt nicht für die Ausstattung und auch nicht für die Farbe. Aber für die Art, wie man sein Levo am liebsten nutzen möchte.

Option 1: Wie viel Reichweite darf’s denn sein?
In Sachen Reichweite bietet Specialized seinen Kundinnen und Kunden 3 Akku-Optionen an. Serienmäßig sind alle Turbo Levo Modelle mit dem neuen, 840-Wh-Akku ausgestattet. Wem das noch nicht reicht, kann die Reichweite mit einem Range Extender um 280 Wh auf satte 1.120 Wh erweitern.
Wem weniger Reichweite ausreicht und ein geringeres Gewicht im Fokus steht, der bekommt zum Turbo Levo optional auch einen 600-Wh-Akku. Das Geniale: der 600-Wh-Akku hat am oberen Ende einen Verlängerungskäfig, wodurch die Einbaumaße identisch zum 840er-Akku sind. Der Freiraum im Akku kann als zusätzliches Staufach genutzt werden. Natürlich lässt sich auch der 600-Wh-Akku mit dem 280-Wh-Range Extender kombinieren.
Das Highlight ist jedoch der Range Extender als alleinstehendes Feature. Denn das neue Turbo Levo kann auch ganz ohne In-Tube-Akku und nur mit Range Extender gefahren werden. Ist nur der Range Extender installiert, drosselt das System automatisch die Motorleistung auf maximal 400 Watt, wodurch aus dem Full-Power-Bike quasi ein Light-Assist E-Bike wird. Aber eben nur quasi – denn trotz gedrosselter Leistung stehen am Antriebsstrang weiterhin 111 Nm Drehmoment an. Genial. Der freie Platz im Unterrohr dient bei Bedarf als riesiges Staufach für Banane, Jacke usw.
Akku | Gewicht |
840 Wh | 4,4 kg |
600 Wh | 3,2 kg |
280 Wh (Range Extender) | 1,6 kg |



Option 2: Geometrie nach deinem Gusto
Das Turbo Levo der vierten Generation ist in fünf Rahmengrößen von S2 bis S6 erhältlich. Aufgrund der kurzen Sitzrohre können sich Fahrer immer zwischen mindestens zwei Größen entsprechend ihrer Vorlieben entscheiden.
Wer sein Turbo Levo im Detail an sich anpassen möchte, kann das anhand von drei variablen Parametern tun. Der Lenkwinkel lässt sich via wechselbarer Steuersatzeinsätze in drei Positionen um je 1° verstellen – der Einstellbereich liegt somit zwischen 63,5 und 65,5°.
Auch die Tretlagerhöhe lässt sich einstellen. Über einen exzentrischen Flipchip im hinteren Dämpferauge kann die Höhe des Tretlagers um 6 mm verändert werden. Das kennt man auch vom Specialized Stumpjumper so. Wer das letzte Quäntchen Performance aus seinem Turbo Levo herauskitzeln möchte, der kann zudem noch die Hinterbaulänge einstellen. Zwei Aufnahmepunkte für den Horstlink ermöglichen eine Veränderung der Hinterbaulänge um 9 mm. Auf andere Parameter der Geometrie soll das keinen Einfluss haben.
Nur in einer Sache ist sich Specialized sicher: dass das Turbo Levo mit gemischten Laufradgrößen gefahren werden sollte – beziehungsweise muss. Das neue Levo steht auf einem Mullet-Setup. Der Umbau auf ein großes 29“-Hinterrad steht nicht zur Option.


Option 3: Progressiv und lebendig oder linear und satt?
Auch in Sachen Fahrwerksperformance ermächtigt Specialized seine Kunden zur Individualisierung. Über die zwei Luftkammern des Genie Dämpfers kann die Hinterbaucharakteristik des Bikes eingestellt werden. Wer es am Anfang des Federwegs gerne weich und plüschig mag, nach hinten raus aber Gegenhalt und Pop wünscht, der belässt es beim vorinstallierten Volumenspacer in der äußeren Luftkammer.
Wer hingegen schon vom ersten Losbrechen an ein definiertes Fahrgefühl, klares Feedback vom Untergrund und bestmögliche Traktion über den gesamten Federweg hinweg sucht, der fährt die äußere Luftkammer ohne Volumenspacer. Als Racer konnte mich dieses Set-Up an unserem Testbike mehr überzeugen.
Übrigens: Die Bottum-Out-Kräfte zugunsten des Durchschlagschutzes lassen sich ganz klassisch über Volumenspacer im Dämpfergehäuse einstellen. Denn der Clou des Genie Dämpfers ist sein Zwei-In-Eins-Prinzip. Bis zu einem Einfedern von 70% des Federwegs arbeitet der Dämpfer über zwei Hauptluftkammern – eine Innere und eine Äußere. Ab 70% des Federwegs überfährt der Dämpferkolben die Strömungsöffnungen zwischen den beiden Luftkammern und trennt die äußere Luftkammer vom System ab. Somit reduziert sich das Luftvolumen auf den letzten 30% des Federwegs so deutlich, dass die Progression stark ansteigt. Durchschlagschutz und Gegenhalt sind somit garantiert.


Zwischenfazit: Alles kann, nichts muss.
Zugegeben, so viele Optionen können auch schnell überwältigend und damit abschreckend wirken. An dieser Stelle können wir Entwarnung geben. Wie unser Test gezeigt hat, scheint Specialized viel Entwicklungs-Know-how und vor allem Testaufwand ins Turbo Levo investiert zu haben, denn jede der einzelnen Varianten funktioniert für sich. Schon im Basis-Setup ist das Turbo Levo ein sehr gelungenes und vor allem ausbalanciertes E-Bike.

Viel hilft viel: 23,7 kg für 14.499 €
Das Turbo Levo S-Works platziert sich als Luxus-Objekt und schlägt mit irren 14.499 € zu Buche. Für so viel Geld bekommt man auch viel: nämlich 23,7 kg E-Bike-Technik. Tatsächlich, ein Leichtgewicht ist das neue Turbo Levo nicht.
Auch wenn wir keinen Langzeittest machen konnten, so schonten wir das Bike während unseres Tests zumindest nicht. Im Gegenteil – das Bike musste einstecken. Und es leistete sich keine Schwächen. Alles in allem wirkt das Turbo Levo S-Works sehr solide und auch steif. Und die montierten Downhillreifen waren super pannenresistent.
Wer sein Levo nicht den ultimativen Strapazen aussetzen möchte und auf’s letzte Gramm schaut, der darf sich freuen. Leicht kann das Turbo Levo auch. Specialized zeigte einen reduzierten Turbo Levo S-Works Aufbau, der schlanke 19,7 kg auf die Waage brachte – mit Inline-Dämpfer und 600-Wh-Akku. Damit dringt man in die Sub 20 Kilo Liga vor, in der sich Cannondale, Amflow und Orbea mit ihren Full Power Bikes tummeln.


Steil ist geil. Gilt das umso mehr für ein E-Bike mit 111 Nm Drehmoment?
Auf dem neuen Levo sitzt man erstaunlich kompakt, geradezu nah am Cockpit. Und das, obwohl der Reach des Rahmens in S4 moderne 480 mm misst. Die aufrechte und nach vorne gerückte Sitzposition kommt durch den 77° steilen Sitzwinkel und die hohe Front. Mit so geradem Rücken kommt SUV-Feeling auf.
Das Thema SUV passt zur schieren Power des 111 Nm starken Motors. Diese Erkenntnis macht sich schnell breit, wenn man die Kraft des Turbo Levo an steilen Rampen auf die Probe stellt. Der Motor schiebt gehörig an, sodass sich auch steile Anstiege problemlos bezwingen lassen. Die nach vorne gerückte Sitzposition sichert den Fahrer vor Kontrollverlust durch ein steigendes Vorderrad. Das Vorderrad bekommt viel Druck ab und bleibt dadurch auch bei fiesen Steigungen sicher am Boden.
Wer sich von so viel Unterstützung inspiriert fühlt, den Weg zum Gipfel über anspruchsvolle Trails zu meistern, der wird mit Turbo Levo seine wahre Freude haben. Das Bike verhält sich enorm ausbalanciert: es steigt nicht, es lässt sich sicher und direkt manövrieren und auch Kurbelaufsetzer bleiben überraschenderweise aus. Das Turbo Levo ist ein exzellenter Kletterer. Vor allem, da der Motor schon von unten raus enorm viel Drehmoment zur Verfügung stellt, gleichzeitig aber äußerst sensibel auf den Input des Fahrers reagiert und somit lästiges Durchrutschen am Hinterrad unterbindet.

Reduziert aufs Wesentliche und trotzdem voll auf der Höhe
Spannend ist das Turbo Levo besonders im „Range Extender Only“-Setup. Denn obwohl der Motor seine Leistung auf 400 Watt drosselt, schiebt das Bike dennoch gehörig an. Fährt man nur mit Range Extender, stehen immer noch die vollen 111 Nm Drehmoment am Antriebsstrang an. Damit kommt man erstaunlich steile Anstiege hoch – zwar nur mit Schleichfahrt, aber man kommt hoch.
Mit 400 W Spitzenleistung darf man keine Sausefahrt erwarten. Um aus der enormen Anfahrtskraft Geschwindigkeit aufzubauen, sind 400 W dann doch zu wenig. Wer hingegen selbst strampeln will und trotzdem Lust auf technische Uphills hat, der kommt mit dem Turbo Levo fast überall hoch. Nur an Geländekanten, an denen mit knackigen Tretimpulsen kurze Leistungsspitzen aus dem Motor gekitzelt werden sollen, bleibt das Specialized verhalten auf Spur. Slowly but steady.



Monster Truck oder Go-Kart?
Das Specialized ist kein Kurvenwiesel. Es ist eher ein Defender. Hart im Nehmen, aber kein flinker Kurvenschreck, sondern eher auf Sicherheit getrimmt. Dennoch muss sein gutes Handling gelobt werden. Trotz seiner 23,7 kg fährt sich das Bike mit erstaunlich geringem Krafteinsatz. Das Bike macht, was man als Fahrer von ihm will.
Der Hinterbau ist eher auf der straffen Seite und damit sehr definiert. Die Geometrie des Turbo Levo ist dafür Specialized-typisch ein Volltreffer – Wohlfühlgeometrie trifft es am besten. Das Turbo Levo platziert seinen Fahrer mittig zwischen den Achsen und tief hinter dem Cockpit – das gibt Sicherheit.
Aufgrund des steifen Gesamt-Setups folgt das Bike präzise den Lenkbewegungen des Fahrers. Selbst enge, schnelle Richtungswechsel meistert das Turbo Levo gekonnt. Nur wenn es mit dem Messer zwischen den Zähnen im Vollgasmodus durch richtig raues Geläuf geht, wird das Bike etwas unruhig.

Pros
- das vielleicht variabelste E-MTB auf dem Markt
- smarte und praktische Akku-Vielfalt (RangeExtender-Version ist genial)
- überragender Kletterer
- sensationeller Motor
Cons
- mit großem 840-Wh-Akku nicht gerade leicht
- teuer
- kein Kurvenwiesel

Fazit zum Specialized Turbo Levo 4
Das Specialized Turbo Levo der vierten Generation schafft einen riesigen Spagat und liefert zahlreiche Lösungen, vereint in einem Paket – damit ist das Turbo Levo das vielseitigste EMTB auf dem Markt. In Sachen Fahrdynamik ist die größte Stärke des neuen Turbo Levo seine atemberaubende Uphill-Performance. Bergab liegt es ebenfalls auf Top-Niveau, wenngleich der Markt bessere Abfahrer zu bieten hat.