Canyon Spectral On Fly im Test
Das Canyon Spectral ONfly wiegt 18,7 Kilo, kostet 5599 € und hat 160 mm Federweg. Ist es damit das E-MTB, auf das alle gewartet haben?
Wer die Faszination Light wirklich spüren will, brauchte bislang einen dicken Geldbeutel. Bikes wie das Mondraker Neat mit unter 18 Kilo haben auch uns schon in ihren Bann gezogen, kosten aber halt auch über 10.000 Euro.
Unsere Grafik mit einer kleinen Marktauswertung zeigt ganz klar, dass es bislang wenig attraktive Light EMTBs gab. Sticht Canyon mit seinen neuen Spectral ON Fly Modellen in ein Wespennest?
Praxistest: Wie fährt das neue Canyon Spectral ONfly bergab
Die offensichtliche Frage, die sich bei der Kombination aus Preis, Gewicht und Federweg stellt, ist: Kann Canyon zaubern, oder macht das Bike einen faulen Kompromiss? Die wichtigste Sache für Biker, die sich für ein leichtes EMTB mit 160 mm interessieren, ist mit Sicherheit, wie es bergab fährt.
Wir haben dem Bike sowohl auf Flowtrail Strecken, wie auch auf natürlichen Trails die Sporen gegeben und waren überrascht. Sowohl vom Fahrgeräusch als auch vom Handling, vergisst man mit dem Bike im Singletrail bergab tatsächlich, dass man auf einem EMTB sitzt.
Im Vergleich zum Spectral CF ohne Motor, das wir dieses Frühjahr für bike-test.com getestet haben, wiegt die EMTB Version nur 3 Kilo mehr. Mit dem Gewicht von 18,7 Kilo bleibt selbst das Einstiegsmodell unter einer absoluten Gewichtsmarke, ab der man im Singletrail deutliche Abstriche machen muss.
Handling fast wie ein Bio-Bike
Während Bikes über 20 Kilo vor allem bei Sprüngen oder schnellen Richtungswechseln ins Strugglen kommen, lässt sich das Spectral ONfly in solchen Situationen eher wie ein normales Bike fahren. Vor allem, wenn man zügig über die Trails fährt, muss man nicht am Lenker reißen wie Arnold Schwarzenegger, um ein Fahrmanöver einzuleiten. Das kleine 27,5 Zoll Hinterrad gibt dem Bike ein tendenziell spielerisches Handling, gegenüber vielen Konkurrenten.
Das träge Handling von einem klassischen EMTBs gibt es hier schlichtweg nicht. Der Hinterbau unterstützt mit einer spürbaren Progression dieses herzlich direkte Fahrgefühl. Er liefert genügend Gegendruck, um sich auch an Geländekanten wegdrücken zu können. Er arbeitet sensibel, steht nach dem ersten Drittel des Federwegs aber tendenziell eher hoch im Federweg.
Dämpfer und Bremsen - hier spürt man den Preisdruck
Zwei Einschränkungen gibt es bergab: Bei unserem Testbike, dem Canyon Spectral ONfly 8 (Einstiegsmodell), kommt der Dämpfer ohne Ausgleichsbehälter daher. Auch beim 9er Modell ist das der Fall. Erst die beiden Topmodelle haben so einen Ausgleichsbehälter.
Abfahrten mit 200 Höhenmetern steckt auch der einfache Dämpfer in den günstigen Modellen locker weg. Wer regelmäßig über 300 Höhenmetern oder mehr am Stück bergab fährt, wird merken, dass gegen Ende die Zugstufe und auch der Support der Druckstufe etwas nachlässt.
Außerdem sind an allen Bikes Srams Code Bremsen verbaut. Fahrer mit weniger als 80 Kilo haben damit kein Problem. Mit den 200er Scheiben liegt die Bremskraft im grünen Bereich. Aber klar ist, dass Srams neuen Maven oder auch Magura Bremsen deutlich besser zupacken. Aber sowohl die Bremsen wie auch der Dämpfer arbeiten auf einem Niveau, dass diese Kritikpunkte keinen Dealbreaker darstellen.
K.I.S. - Was ist das?
Jedes Canyon Spectral Onfly kommt ab Werk mit einem K.I.S. System. Dabei handelt es sich um eine Lenkungsstabilisierung, die im Oberrohr sitzt. Zwei kleine Zugfedern werden einerseits am Oberrohr und andererseits über einen Kunststoff-Exzenter am Gabelschaft montiert.
Der Effekt: Die Federn lösen eine minimale Kraft aus, sobald man einlenkt, welche den Lenker wieder in die Geradeausposition bringen will. Super detailliert (mit physikalischen Erklärungen) haben wir das K.I.S. System in unserem Artikel zum Spectral ohne Motor auf bike-test.com schon einmal beschrieben. Hier gehen wir wirklich nur auf die Fahreigenschaften des Systems ein.
Wie verhält sich das K.I.S-System auf dem Trail?
Die Federspannung des Systems ist einstellbar und wer auf das System keine Lust hat, kann es auch demontieren. Aber dazu gibt es wenig Gründe. Denn auf dem Trail verhält sich das K.I.S. System sehr dezent. Wenn man nicht weiß, dass es verbaut ist, merkt man es in weiten Teilen auch nicht. Zum spürbaren Vorschein kommt es erst, wenn man mit dem Bike in den Grenzbereich geht.
Gerade beim Bergabfahren ist das aber mit einem hohen Risiko verbunden. Ein falscher Zucker am Lenker und das Bike beginnt in offenen Kurven zu rutschen. Dann sinkt die Kontrolle schlagartig. Als Biker versucht man oft intuitiv, mit einer Verstärkung der Lenkbewegung die Richtungsänderung herbeizuführen, die einem das Bike längst verwehrt. Genau hier greift K.I.S. ein.
Wo sich bei einem normalen Bike ohne Lenkungsstabilisierung das „leichte“ Gefühl am Vorderrad einstellt, gibt das K.I.S.-System ein klares Feedback, wie weit man schon eingelenkt hat. So bewahrt es einen vor dem klassischen Fehler, noch weiter einzulenken. Stattdessen gibt es den Impuls, den Lenker wieder gerade auszurichten, um die Kontrolle in solchen Grenzsituationen zurückzugewinnen. Es bevormundet den Fahrer dabei nicht. Die Federn drücken den Lenker nicht zurück, dazu sind sie zu schwach. Aber man spürt deutlich besser als ohne K.I.S., wenn der Lenker schon sehr weit eingeschlagen ist und es besser wäre, ihn wieder auszurichten.
Der Effekt kommt auf losem Untergrund oder in hängenden Trailpassagen gut zum Vorschein. In Anliegern oder in schnellen Geraden merkt man das System dagegen nicht.
Das sind unsere Erfahrungen mit K.I.S im Langzeittest
- Gewicht: Das K.I.S.-System wiegt 103 Gramm
- Demontage: Der Ausbau gelingt leichter als gedacht. Gabel demontieren. K.I.S. am Oberrohr lockerschrauben. Gabelring mit Federn durch die untere Steuerrohröffnung entnehmen. Fertig. Geübte Schrauber brauchen dafür keine 20 Minuten. Auch der Einbau klappt ohne großen Zwischenfall.
- Serviceaufwand: Hat man das System einmal mittig am Gabelschaft fixiert, fällt keine Wartung oder Nachjustierung mehr an.
- Einstellungen: Die Federspannung der beiden Federn im Oberrohr lässt sich mit einem Minitool in wenigen Sekunden von "kaum spürbar" zu einem deutlichen Effekt verstellen. Canyon hat den Verstellbereich im Vergleich zum Vorgänger deutlich angepasst.
Wie fährt sich TQ's HPR 50 Motor?
Sanfte, natürliche Unterstützung
Wer einen Dampfhammer für den Uphillflow sucht, der wird mit dem TQ HPR 50 nicht glücklich. Denn mit nur 300 Watt Unterstützung ist der TQ Motor kein Kraftprotz. Wenn man dagegen vom Bio Bike kommt und etwas Unterstützung für den Weg zum Traileinstieg sucht, sind 300 Watt extra natürlich deutlich spürbar. Ist man Full Power verwöhnt, drückt man schon ein paar Mal auf den Plus-Knopf, bis man merkt, dass man schon im Boost-Modus unterwegs ist.
Dafür stellt der Motor seine volle Leistung über ein breites Drehzahlband zur Verfügung. Bereits ab 70 Umdrehungen pro Minute an der Kurbel, kann man ihm das volle Potenzial entlocken. Andere Motoren wie der Bosch SX verlangen hier deutlich mehr vom Fahrer.
Die Motorsteuerung ist dabei wirklich gelungen. Man merkt, wenn der Motor einsetzt, und er schiebt auch geringfügig nach. Alles in allem vermittelt der TQ HPR 50 aber eine sehr natürliche Steuerung.
Reichweite: Wie weit reichen 360 Wh?
Das niedrige Gewicht des Canyon Spectral ONfly kommt natürlich nicht von irgendwoher. Denn mit 360 Wattstunden fällt der Akku relativ klein aus. Mit 1864 Gramm spart der kleine Akku in etwa 2 Kilo gegenüber den 700er-Akkus von Full Power EMTBs.
Wer die Finger von der höchsten Unterstützungsstufe lässt und selbst ordentlich in die Pedale tritt, schafft damit auch 1000 bis 1200 Höhenmeter. Nutzt man den Boost-Modus und verlangt dem Motor regelmäßig die volle Leistung ab, ist der Akku in deutlich weniger als 1000 Höhenmetern leer.
Das reicht für die Feierabendrunde, ist aber nicht viel. Zum Vergleich: Full Power EMTBs wie das Cannondale Moterra SL oder das Orbea Rise packen mit knapp über 600 Wh ca. 1700 Höhenmeter im Boost-Modus. Wer die Reichweite erhöhen will, muss selbst mehr leisten oder ca. 500 € in einen Range Extender mit 160 Wh investieren. Dann packt man auch ca. 1500 Höhenmeter.
Braucht es das Topmodell vom Canyon Spectral ON Fly?
Wir hatten auch die Möglichkeit, uns auf das Topmodell der Spectral Onfly Serie zu schwingen. Erstaunt waren wir aber schon vor der ersten Abfahrt, denn das Bike ist nur 500 Gramm leichter als das günstigere Einstiegsmodell. Nicht viel, wenn man auf den Preisunterschied von über 4000 € schaut.
Auf dem Trail fallen die Unterschiede spürbar, aber weniger deutlich als erwartet aus. Das Fahrwerk (vor allem die Gabel) bietet deutlich mehr Gegendruck, was aktive Fahrer in ihrem Fahrstil unterstützt. Die Bremsen funktionieren, dank besserer HSC2 Bremsscheiben, etwas besser. Das Bike hinterlässt unterm Strich einen etwas hochwertigeren Eindruck, ist aber nicht auf einem völlig anderen Niveau, wie das Einstiegsmodell, das schon sehr gut funktioniert.
Srams Transmission Schaltung, welche die Gänge in jeder Fahrsituation präzise wechselt, hat während unseres Tests den größten erfahrbaren Unterschied ausgemacht. Wobei auch das Shimano Deore Ensemble des günstigeren Modells die Gänge zuverlässig wechselt. Sie ist dabei aber deutlich lauter und muss mit etwas mehr Gefühl bedient werden. Unter Vollast, wechselt sie die Gänge nur widerwillig. Der Dämpfer mit Ausgleichsbehälter dürfte sich vor allem bei langen, alpinen Abfahrten auszeichnen.
Vorteile des Spectral ONfly
- leicht
- günstig
- geniales Einstiegsmodell ab 5599 €
- supernatürliches Fahrverhalten
- guter Hinterbau
- sehr leise
- K.I.S. System ab Werk an Bord
Nachteile des Spectral ONfly
- kleiner Akku (geringe Reichweite)
- nur 300 Watt Unterstützung
Mit 5.299 € schlägt unser Testbike weniger zu Buche, als jedes andere light EMTB, das wir je in den Fingern hatten. Aber Canyon beweist, dass sie mit dem LTB Modell auch High End können. Mit dem Pfeil-Symbol , könnt ihr die einzelnen Modelle auch in den Vergleich mit jedem anderen Bike aus unserer großen Marktübersicht ziehen. Spannend ist vor allem auch der Vergleich mit den leichten Full Power Optionen am Markt. Dem Cannondale Moterra SL und dem Orbea Rise LT.
Fazit zum Canyon Spectral ONfly Test
Canyon bringt die Faszination light EMTB endlich in bezahlbare Bereiche. Das Einstiegsmodell ist für 5599 € ein genialer Deal, für alle, die ein EMTB suchen, das sich fährt wie ein Bio Bike. Bergab kommt dem Spectral ONfly richtig Freude auf. Bergauf hat man dafür nur eine leichte Unterstützung und relativ wenig Reichweite. Das K.I.S. System ist kein Gamechanger, aber dennoch ein Mehrwert, den man in dem Einsatzbereich gerne mitnimmt.